Wilhelm Leibl
(Köln 1844 - 1900 Würzburg)
Portrait des Bildhauers Tobias Weiss, 1866
Öl auf Leinwand, 69,6 x 57,2 cm
Signiert und datiert unten rechts W. Leibl 1866
Provenienz:
Tobias Weiss (Anfang der 1870er Jahre verkauft);
Hugo Helbing, München, Auktion (1900);
Die Fürstliche Sammlung Liechstenstein, Wien/Vaduz (1900-52);
Galerie Wimmer, München (1953);
Privatsammlung Georg Schäfer, Schweinfurt;
Privatsammlung, Deutschland;
Privatsammlung, New York.
Ausstellungen:
Münchner Kunstverein 1867[1]
Ausstellung Wilhelm Leibl, Goetheschule Wolfsburg 1954, Nr. 5
Wilhelm Leibl. Zum 150. Geburtstag, Neue Pinakothek, München, Mai - Juli 1994; Wallraf-Richartz-Museum, Köln, Aug. - Okt. 1994, S. 212f.
Literatur:
Emil Waldmann, Wilhelm Leibl, 1913, Nr. 52
Emil Waldmann, Wilhelm Leibl, 1930, Nr. 56
Peter Lufft, Die Bildnismalerei Wilhelm Leibls, Disseration, Universität Zürich, Brugg, Effingerhof 1942, S. 24f.
Alfred Langer,Wilhelm Leibl, Leipzig 1961, S. 28, Abb. 10
Götz Czymmek und Christian Lenz, Wilhelm Leibl. Zum 150. Geburtstag, Frankfurt 1994, S. 212f.
Boris Röhrl,Wilhelm Leibl, Leben und Werk, Hildesheim 1994, S. 45
Thomas Wiercinski, Wilhlem Leibl. Studien zu seinem Frühwerk, Saarbrücken 2003,
S. 126
Marianne von Manstein, Wilhelm Leibl: Die Zeichnungen, Petersberg 2010, S. 222f.
„Sehen ist alles!“ – unter dieser Maxime steht das gesamte Schaffen Wilhelm Leibls, der zu den großen Porträtisten des 19. Jahrhunderts zählt. Der gebürtige Kölner Leibl kam 1863 nach München, um hier die Akademie zu besuchen. Dem offiziellen Kunstbetrieb in München, das zu jener Zeit eine wichtige europäische Kunstmetropole war, wandte der Künstler allerdings bald den Rücken. Vielmehr galt sein Interesse den Alten Meistern wie van Dyck, Ostade und Rembrandt sowie der zeitgenössischen belgischen und französischen Kunst. Angeregt durch einen kurzen Parisaufenthalt 1869/70, wo er die Malerei Gustave Courbets und Edourd Manets sah, zog Leibl ins Münchner Umland, um seine Motive und Modelle in der Natur zu suchen. Die unmittelbare Anschauung der Natur war ihm oberstes Gebot. Er teilt sie mit Künstlern des von ihm gegründeten Leibl-Kreises, zu dem unter anderem Karl Schuch, Wilhelm Trübner und Hans Thoma zählen. Sie scharten sich in lockerem Verbund um Leibl, um im geselligen Miteinander zu arbeiten und fühlten sich durch den Realismus Courbets auf ihrem Weg fern des historistisch überladenen Zeitstils bestätigt.
Das menschliche Antlitz ist das bestimmende Motiv fürs Leibls Werk. Als „Maler für Maler“ besonders unter Künstlern bis in die Gegenwart geschätzt, schuf Leibl Portraits von höchstem künstlerischen Anspruch und zugleich tiefer seelischer Eindringlichkeit.[2]
Bei dem Dargestellten handelt es sich um den Bildhauer und Maler Tobias Weiss (Nürnberg-Krottenbach 1840-1929 Nürnberg). Als Halbwaise und Sohn einer ärmlichen Hirtenfamilie hatte er das Glück, von einem Kunstdrechsler und Elfenbeinschnitzer als Pflegesohn aufgenommen zu werden, der ihm neben der Schulbildung auch eine kunsthandwerkliche Lehre im eigenen Betrieb angedeihen ließ. Es folgten der Besuch der Kunstgewerbeschule in Nürnberg und eine umfangreiche Tätigkeit als Maler und Bildhauer, vornehmlich im sakralen Raum. Bevor Weiss seine Lebensstelle als Lehrer an der Baugewerbeschule in Nürnberg antrat, hielt er sich für zwei Jahre in München auf. In dieser Zeit ist das vorliegende Bildnis entstanden.
Wilhelm Leibl stellt den 26-jährigen Künstlerkollegen frontal in ruhiger Pose dar. Vor einem dunklen Hintergrund, der sich tonig mit der dunklen Kleidung verbindet, leuchten Kopf und Hand des Bildhauers hell auf. So ist die Komposition auch ein Hinweis auf den Entstehungsprozess bildender Kunst, in dem Kopf und Hand fruchtbar zusammenwirken. Insbesondere die hohe Stirn des von Zeitgenossen als hochintelligent beschriebenen Weiss[3] tritt hervor. Wandert der Blick weiter über das Gesicht, dessen Inkarnat delikat und in mehreren Farbschichten nuanciert gemalt ist, teilt sich mit, dass es mehr ist als handwerkliches Geschick und Intellekt, welche die Persönlichkeit eins Künstlers ausmachen. Zurückhaltend, fast scheu geht der Blick des nachdenklichen, von seinem Tun beseelten jungen Mannes zur Seite. Im Zusammenspiel mit dem sensiblen Mund möchte man etwas Sorgenvolles vermuten, aber vielleicht ist es doch eher ein gedankliches Abschweifen, ein inspiriertes Fortdrängen? So weist auch die leicht arrangiert wirkende Hand, die den locker übergeworfenen Mantel vor der Brust zusammenhält und gleichzeitig eine glimmende Zigarre lässig zwischen den Fingern führt, in die Ferne.
In Pose, Blick und vor allem der prägnanten Handhaltung zitiert Leibl ein berühmtes Künstlerbildnis: jenes des Bildhauers Georg Petel in der Alten Pinakothek in München, portraitiert 1627/1628 von Antonis van Dyck. Diese Hommage an van Dyck ist kein Zufall. Leibl besuchte häufig die Münchner Museen, um die bewunderten Alten Meister zu studieren und zu kopieren. Auch das Petel-Portrait hatte Leibl in einem seiner Skizzenbücher festgehalten.[4] Mit diesem Zitat stellt er nicht nur Tobias Weiss in die Tradition des großen Barockbildhauers, sondern auch sich selbst in die Fußstapfen eines der größten Bildnismaler der Kunstgeschichte.
[1] Das Bildnis gehörte mit zu den ersten öffentlich ausgestellten Werken des damals noch unbekannten Künstlers. In einem Brief berichtet Leibl einem Freund über die Ausstellung des Portraits im Münchner Kunstverein: „Als stiller Beobachter war ich am ersten Tage zugegen. Ich sah wie die meisten nicht aufs Bild, sondern unten auf den Zettel, wo der Name des Machers steht, schauten, und da dieser Name unbekannt war, gleich weiter gingen und einem anderen schlechteren Bilde, dessen Verfertiger sich eines bekannten Namens freut, die größte Aufmerksamkeit schenkten. Jedoch später änderte sich die Sache einigermaßen. Täglich werde ich jetzt von Leuten beglückwünscht und stellt man mein Porträt den ersten Meistern in diesem Fache zu Seite. So ist das Publikum. Mir aber erwächst daraus die Lehre, unbeirrt weiter zu streben, ohne Rücksicht auf Lob oder unverdienten Tadel. Das wirklich Gute findet doch immer seine Anerkennung.“ Leibl in einem Brief an Anton Wingen, 7. März, 1867, zitiert nach Boris Röhrl, Wilhelm Leibl. Briefe, Hildesheim/Zürich/New York 1996.
[2] So z.B. die Auseinandersetzung des zeitgenössichen Künstlers Wolfgang Tillmans mit Wilhelm Leibl, vgl. Wilhelm Leibl (1844-1900), Gallery Between Bridges, London 2008.
[3] Vgl. Hans Werner Kress, ‚Tobias Weiß (1840-1929), Ein Leben zwischen Kunst und Handwerk’, in Geschichtsverein Fürth (Hrsg.), Fürther Geschichtsblätter, 3/2012, 62. Jahrgang, S. 59-78.
[4] Vgl. Marianne von Manstein, Wilhelm Leibl: Die Zeichnungen, Petersberg 2010, S. 222f.