Vilhelm Hammershøi (1864 - Kopenhagen - 1916)
Interieur - „Pigen dækker Bord“, 1895
Öl auf Leinwand, 97 x 70 cm
Provenienz:
Alfred Bramsen (1851-1932), Kopenhagen (1896 direkt vom Künstler erworben)
Karen Bramsen (1877-1970, Tochter von Alfred Bramsen) und Gustav Falck (1874-1955, Bramsens Schwiegersohn)
Winkel & Magnussen, Kopenhagen, Auktion182, 28. Oktober 1935, Lot 54
Magda Rothschild, Kopenhagen
Normi Rothschild (1932-2012), Kopenhagen (Tochter von Magda Rothschild)
Winkel & Magnussen, Kopenhagen, Auktion 352, 30. März 1949, Lot 256
Hjalmar Kleis, Kopenhagen
Axelsen, Kopenhagen
Winkel & Magnussen, Kopenhagen, Auktion 360, 21. Juni 1950, Lot 64
Kunsthallen, Kopenhagen, Auktion 175, 9. Mai 1951, Lot 168
Bruun Rasmussen, Kopenhagen, Auktion 383, 3. Oktober 1978, Lot 58
Unbekannte Auktion, 20. Februar 1979, Lot 70
Åmells konsthandel, Stockholm (1988)
Olof Lagercrantz (1911-2002), Drottningholm (bei Åmells konsthandel 1989 erworben)
Richard Lagercrantz (*1942), Sohn von Olof Lagercrantz
Privatsammlung, Stockholm
Ausstellung:
Den Fri Udstilling [‘Die freie Ausstellung’], Kopenhagen 1895, Nr. 15
Arbejder af Vilhelm Hammershøi, Kunstforeningen, Kopenhagen 1916, Nr. 120
Nyere dansk kunst, Liljevalchs konsthall, Katalog 20, Stockholm 1919, Nr. 428
Udvalg af Vilh. Hammershøis arbejder, Kunstforeningen, Kopenhagen 1930, Nr. 6
Vilhelm Hammershøi, Theodor Philipsen, L.A. Ring, Sveriges Allmänna Konstförening, Stockholm 1930, Nr. 11
Från atelier till plein air, Åmells konsthandel, Katalog 15, Stockholm 1988, Nr. 10
Literatur:
Sophus Michaëlis und Alfred Bramsen, Vilhelm Hammershøi, Werkverzeichnis, Kopenhagen 1918, S. 92, Nr.142
Poul Vad, Vilhelm Hammershøi – Værk og liv, Kopenhagen 1988, S. 147, Nr. 142
Nach ihren Flitterwochen in Paris zogen Vilhelm Hammershøi und seine junge Frau Ida Ilsted (1869-1949) im Jahre 1892 in eine kleine Mietswohnung in der Villa Ny Bakkehus in Frederiksberg bei Kopenhagen. Sie wohnten dort bis das Haus 1897 abgerissen wurde. In diesen fünf Jahren widmete Hammershøi einen Großteil seiner Zeit dem Porträt, Figurenbildern, Stadtansichten und Landschaften. Kaum ein Dutzend Interieurs stellen die Wohnung des Ehepaares und die gemeinschaftlich genutzten Räume der Villa dar.
Das hier vorgestellte Gemälde ist ein ausgezeichnetes Beispiel für ein frühes Interieur Hammershøis. Die Farbigkeit ist subtiler als jene seiner späteren Werke. So nutzt er eine reiche Palette an Rottönen, um den großen, zentral platzierten Mahagonischrank wirkungsvoll zu dem leuchtenden frischen Weiß des Tischtuchs zu kontrastieren. Die beengte Komposition des Bildraums findet sich auch bei anderen Interieurs des Ny Bakkehus wieder. Auch hier verläuft die Bildebene parallel zu Rückwand und Mobiliar. Durch das Beschneiden der Tischbeine an der unteren Leinwandkante gelingt Hammershøi eine fast übersteigerte Dreidimensionalität. Das Resultat ist ein bühnenartiger Effekt, der diese frühen Interieurs so markant von den vielen Interieurs unterscheidet, die Hammershøi von seinen späteren Wohnräumen in der Strandgade 30 fertigte.
In diesem einfachen Raumgefüge sind allein die weibliche Figur und das Mobiliar Mittler psychologischer Inhalte. Hammershøi – der sich in diesem Werk als wahrer Symbolist offenbart – betrachtete Möbelstücke als rätselhafte Substitute menschlicher Präsenz. Der imposante Schrank scheint für eine Art versteinerte Emotion zu stehen, die sich im verschlossenen Ausdruck der den Tisch deckenden Figur widerspiegelt, während ihr introvertierter, abwesender Blick von den drei verbretterten Fenstern, die sich schwarzen Löchern gleich im Hintergrund auftun, verstärkt wird.[1] In Hammershøis Innenräumen erscheinen die immer gleichen Möbel, Schauspielern in verschiedenen Rollen gleich.
Die Figur der jungen Frau – als Vorbild diente seine Frau Ida – war ebenfalls ein sich widerholendes Motiv innerhalb seiner Interieurs. Dass den Möbeln in seinen Interieurs die gleiche Wichtigkeit wie den Personen zukommt, ist ein Markenzeichen der Kunst Hammershøis. Dennoch bemerkte der gefeierte schwedische Autor, Kritiker und Publizist Olof Lagervrantz, ein ehemaliger Besitzer des Gemäldes, er habe nun endlich eine Arbeit Hammershøis gefunden, in welcher das weibliche Modell nicht einfach nur mit dem Umfeld zu verschmelzen scheint. Wenigstens scheinen wir ein echtes Individuum zu erblicken[2], so Lagervrantz.
1879 trat Hammershøi in die königliche dänische Akademie der bildenden Künste in Kopenhagen ein und machte dort 1885 seinen Abschluss. Im gleichen Jahr nahm er erstmals mit einem Porträt seiner Schwester an der jährlichen Charlottenburger Frühlingsausstellung der Akademie teil. Dass das Gemälde keine Auszeichnung erhielt, empörte seine Künstlerkollegen. Drei Jahre später, 1888, wurde ein weiteres Porträt seiner Schwester von der Jury der Frühlingsausstellung abgelehnt. Dies führte zur Gründung des ersten (noch sehr bescheidenen) salon des refusés in Dänemark. Als die Jury zwei Jahre später ein frühes Interieur Hammershøis ablehnte, identifizierten sich rebellische junge Künstler erneut mit ihm und seiner Kunst. Aus dieser Rebellion heraus entstand 1891 die Künstlervereinigung Den Frie Udstilling [“Die freie Ausstellung”] mit Hammershøi als einem Gründungsmitglied. Den Frie Udstilling wurde schon bald zum wichtigsten Ausstellungsort dänischer Symbolisten.
Pigen dækker Bord ist eines von lediglich zwei Gemälden, die Hammershøi 1895 auf Den Frie Udstilling zeigte. Ein anonymer Kritiker, welcher unter dem Pseudonym Avant-garde & Co. in der Tageszeitung Politiken schrieb, lobte das Werk für seinen Reichtum an fein abgestimmten Grau- und Weißtönen, die ein wahres Fest für das Auge seien.[3] Ein anderer Kritiker bemerkte seine subtile, melancholische Stimmung.[4] Obwohl das Werk also einigen Erfolg hatte, scheint Hammershøi sich zu kleinen Änderungen und Überarbeitungen entschlossen zu haben – so ist links neben dem Schrank die schwache Silhouette eines zweiten Stuhls zu erahnen.[5]
Danach erwarb es sein treuer Förderer, der Zahnarzt Alfred Bramsen (1851-1932).[6] 275 Kronen kostete das Werk, etwas mehr als der damals übliche Preis für ein Interieur des Künstlers. Mit der Zeit sollte Bramsens Sammlung eine Art Ausstellungsraum für Hammershøis Kunst werden, oft besucht von ausländischen Sammlern, Kritikern, Schriftstellern und Künstlern. Dies belegt eine Fotografie von Bramsens Wohnzimmer 1898, die ein Arrangement von Gemälden mit Pigen dækker Bord im Zentrum zeigt.[7] Auch wenn Bramsen gelegentlich Arbeiten aus seiner Sammlung verkaufte, behielt er Pigen dækker Bord bis zu seinem Lebensende und zeigte das Werk in den Ausstellungen, die er 1916 und 1930 für Hammershøi organisierte.
Ab der zweiten Hälfte der 1890 Jahre konnte der Künstler, auch Dank Bramsens unermüdlicher Unterstützung, im Ausland große Erfolge verzeichnen. Im Jahre 1895 stellte er mit der freien Vereinigung der Münchner Künstler im Kunst Salon Gurlitt in Berlin aus, zwei Jahre später zeigte Serge Diaghilev einige seiner Arbeiten in einer Ausstellung skandinavischer Kunst in St. Petersburg. 1905 erstand der einflussreiche Berliner Kunsthändler Paul Cassirer einige Gemälde und organisierte in seiner Hamburger Galerie eine Einzelausstellung. Zwischendurch nahm Hammershøi an einer Vielzahl wichtiger Ausstellungen in Frankreich, Deutschland, Italien, England und in den USA teil. Nach seinem Tod geriet sein Oeuvre in Vergessenheit und wurde erst in den 1970er Jahren im Zuge einer kritischen Neubewertung des Symbolismus wieder entdeckt. Es folgten Ausstellungen in Europa und Japan, die jüngsten 2012 in München und 2015 bis 2016 in New York, Toronto und Seattle. Heute gilt Hammershøi als einer der führenden dänischen Künstler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Text von Dr. Jesper Svenningsen, Kopenhagen
[1] Das Zimmer wurde von Alfred Bramsen beschrieben, der ohne Zweifel Hammershøi dort besuchte.
[2] Lagercrantzs Kommentar wurde auf dem Keilrahmen gefunden. Er besaß das Gemälde zehn Jahre.
[3] Politiken, 30. März 1895.
[4] Social Demokraten, 30. März 1895.
[5] Die Vermutung, Hammershøi hätte das Bild nach der ersten Ausstellung verändert, wird durch Notizen seiner Mutter in ihren Notizbüchern unterstützt (heute in der Hirschsprung Sammlung, Kopenhagen).
[6] Den Notizen seiner Mutter zufolge. Der Verkauf wird dort mit 1896 datiert.
[7] Vgl. Jesper Svenningsen, Hammershøiana. Tegninger, fotografier og andre erindringer. Drawings, photographs and other memories, Kat. Ausst., The Hirschsprung Collection, Kopenhagen 2011, Abb. S. 29.