Helene Schjerfbeck
(Helsinki, Finnland 1862 - 1946 Saltsjöbaden, Schweden)
Hyvinkään Maisema – Landschaft bei Hyvinkää, 1914
Öl und Kohle auf Malkarton geleimt auf Leinwand, 65 x 60.5 cm
Signiert unten rechts mit Initialen HS
Provenienz:
Carl Lüchou, Helsinki;
Nils und Marianne Lüchou, Helsinki;
In Erbfolge.
Ausstellung:
Helene Schjerfbeck, Helsinki 1917, no. 1011
Literatur:
Hanna und Eilif Appelberg, Helene Schjerfbeck. En biografisk konturteckning, Helsinki 1949, S. 144 (‘Landskap från Hyvinge (Landscape at Hyvinkää), datiert 1916’);
H.Ahtela, Helena Schjerfbeck, Helsinki 1953, S. 362, Nr. 401 (as Stam och tallar (Baumstamm und Pinien) ausgestellt ca.1914).
Helene Schjerfbeck, geboren 1862 in Helsinki, gilt heute als wichtige Protagonistin der Moderne in Skandinavien. Die introvertierte junge Frau, seit ihrem vierten Lebensjahr durch eine Gehbehinderung eingeschränkt, absolvierte ihre Ausbildung an privaten Akademien, zuerst in Helsinki, dann in Paris. Diese Art der Ausbildung war für Künstlerinnen der Zeit typisch. Frauen waren die staatlichen Akademien bis Anfang der 1920er Jahre verwehrt, was ihre Entfaltungsmöglichkeiten erheblich einschränkte.
Längere Aufenthalte in Paris und der Bretagne zwischen 1880 und 1890 formten die junge Malerin. Aus ihren Tagebüchern wissen wir, dass sie sich zunächst in einem der akademischen Malerei zugewandten Umfeld bewegte: Leon Bonnat, Jules Bastien-Lepage und Albert Edelfelt. Helene Schjerfbecks Bewunderung galt während der Pariser Zeit und des Jahrzehnts bis 1900 aber auch den Symbolisten. Sie war mit Henri Bouvet bekannt und lernt über ihn auch Puvis de Chavannes kennen. Der schwedische Symbolist Sager Nelson ist für sie ein wichtiger Bezugspunkt. Sie sieht und bewundert aber auch Werke von Paul Cezanne, Edgar Degas und Édouard Manet. Das Studium japanischer Farbholzschnitte beeinflusst ihr Werk dauerhaft. Mehrfach stellt sie mit Erfolg auf dem Pariser Salon aus.
Ab 1895 verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand. Sie kann nicht mehr reisen, nimmt aber weiterhin an Ausstellungen in Finnland teil. An dem internationalen Kunstgeschehen partizipiert sie über das Studium von Publikationen. Kurz nach 1900 zieht sich Schjerfbeck nach Hyvinkää zurück, einem kleinen Industriestädtchen 50 Kilometer nördlich von Helsinki. Ihr Gesundheitszustand ist nach wie vor prekär, sie leidet unter Depressionen und hat das Bedürfnis nach Isolation. Die Schjerfbeck-Expertin Leena Atholla-Moore interpretiert diesen Rückzug auch als Reifephase der Künstlerin: Schjerfbeck kommt in der Abgeschiedenheit Hyvinkääs zur Ruhe, verdichtet die Fülle ihrer über zwanzig Jahre gesammelten künstlerischen Eindrücke und entwickelt in den Folgejahren ab 1905 ihren eigenen, unverwechselbaren Stil. Es folgen Einladungen zu Ausstellungen nicht nur in Finnland, sondern auch in Schweden und Dänemark. 1912 überwindet Schjerfbeck ihre Isolation. Dabei ist ihr sicherlich auch die Bekanntschaft mit dem schwedischen Kunsthändler Gösta Stenman und dem Schriftsteller und Maler Einar Reuter behilflich. Stenman, ein Bewunderer und Käufer ihrer Werke, organisiert erfolgreiche Verkaufsausstellungen in seiner Galerie in Helsinki. Zu Einar Reuter entwickelt sie eine lebenslange Freundschaft. Er sammelt ihre Werke und gibt 1917 unter dem Pseudonym H. Athela die erste Schjerfbeck Monographie heraus. Reuter und Stenman versorgen Schjerfbeck mit aktueller Literatur zum europäischen Kunstgeschehen. Aus Schjerfbecks Korrespondenz wissen wir über ihre intensive Auseinandersetzung mit Edvard Munch, Juan Gris und Marie Laurencin. In den folgenden Jahrzehnten befasst sie sich, mitunter aus Mangel an Modellen, immer wieder mit der Neuinterpretation früherer Arbeiten. Sie nennt sie Reinkarnationen. Sie zählt sie zu den bekanntesten Künstlern Skandinaviens. Ihre Werke sind in vielen Museen vertreten. Während der letzten Jahre haben Ausstellungen in Deutschland, in den Niederlanden und den USA Helene Schjerfbecks künstlerischen Rang auch international bekannt gemacht.
Hyvinkään Maisema (Landschaft bei Hyvinkää)
Im Sommer 1902 zog Helene Schjerfbeck mit ihrer Mutter in die kleine Stadt Hyvinkää (schwedisch Hyvinge). Nach anstrengenden Jahren als Lehrerin an der Kunstschule der Finnischen Kunstgesellschaft in Helsinki war sie am Rande ihrer Kräfte und musste ihr Leben neu orientieren. Die folgenden Jahre verlies sie Hyvinkää nicht.
An diesem Punkt ihres Lebens war Hyvinkää für sie ein idealer Ort. Neben den gewöhnlichen Fabrikarbeitern, Hofknechten, Schienenarbeitern und ihren Kindern gab es auch eine interessante, multinationale Gesellschaft – außerdem war die Natur vor der Haustüre. Zu dieser Zeit lag ihr Hauptaugenmerk auf der Porträtmalerei, wobei sie ihre Modelle in der örtlichen Gemeinde fand. Das plötzliche Interesse an Landschaft, das 1914 bei ihr aufkam, war eher ungewöhnlich.
Wann immer sie sich mit Landschaftsmalerei beschäftigte, trieb sie das Interesse an neuen Perspektiven, noch intensiverer Komposition und einer kräftigeren Farbpalette an. In ihrer Jugend hatte sie bereits einige Landschaften der Bretagne in opulenter, juwelengleicher Farbgebung gemalt – beispielsweise Schatten auf der Mauer (1883) oder trocknende Kleidung (1883). Diese Werke experimentieren mit modernen Raumkonzepten. Das Interesse an Landschaften verfolgte sie dann in Finnland und Italien in den 1890er Jahren weiter.
Landschaft bei Hyvinkää datiert 1914. Das Gemälde spiegelt Schjerfbecks Anstrengung und Verlangen, die Natur in beispielloser Manier einzufangen. Es ist mit Öl auf Malkarton gemalt, einer für sie neuen Technik. Mehrere Landschaften, die zeitlich in der gleichen Periode zu verorten sind, zeigen Ansichten, die in der Nähe ihres Hauses in Hyvinkää entstanden sind, beispielsweise Der Apfelbaum in Blüte (1913-14), Der Brunnen (1914) und Birkenallee (ca. 1915). Sie sind ebenfalls auf Malkarton gemalt, eher Gouache als in Ölfarbe.
Die frische, relativ helle Palette lässt vermuten, dass das Werk im Frühling entstand. Schjerfbeck erwähnt den Werkprozess in einem Brief an ihre Freundin und Künstlerkollegin Ada Thilén, vom 15. Juni 1914 datiert ist. In diesem Brief bezieht sie sich nicht auf das vorliegende Gemälde, sondern auf eine kleinere Studie zu unserem Gemälde, welche Ahtela als ‘Waldansicht von Hyvinkää, 29x 32’ betitelt. Schjerfbeck hatte die Technik auf Malkarton zu malen gerade erst für sich entdeckt und beschreibt ihre Erfahrungen: “Nun probiere ich, auf Karton zu malen, anfänglich war es erschreckend glatt und rutschig, dann aber wurde die Farbe aufgesogen und trocknete matt, ich denke, es hat am Ende Vorteile”. [‘Nu försöker jag måla på papp, först var det skrämmande glatt och halkade men det suges fort in och färgen blir matt, jag tror det har fördelar mot slutet’]. Auch unser Gemälde weist diese charkteristische matte Oberfläche auf.
Schjerfbeck hatte schon vor 1900 Interesse an japanischer Kunst. Nach der Jahrhunderwende steigerte sich ihre Freude an der “japanischen Perspektive”. In der vorliegenden Komposition bezieht sich Schjerfbeck in der Platzierung des rosafarbenen Baumstammes direkt auf die dramatische Perspektivgebung japanischer Farbholzschnitte. Vor dem dunklen, grünen Wald zeichnen sich vage zwei Figuren ab. Rechts des Stammes stehen drei große, zart umrissene Bäume, die sich gegen den nordischen Abendhimmel abzeichnen.
Die Kohlelinien, welche die Baumstämme umreißen, steigern die Fragilität der Atmosphäre - die Bäume scheinen wie von einer anderen Welt – sie haben poetische Qualität und weisen auf die noch fragileren Bäume in dem großen Gemälde, Der Wandteppich (1914-16). Typisch für Schjerfbeck ist der Farbauftrag ungleich, teils gekratzt, teils verwischt.
Landschaft bei Hyninkää wurde sehr wahrscheinlich kurz nach Vollendung von Schjefbecks Bruder, dem Architekten Magnus Schjerfbeck, an Carl Lüchou verkauft, Eisenbahninspektor in Helsinki. Bis in die 90er Jahre hat sich das Werk im Besitz der Familie Lüchou befunden.
1 Beschrieben als ‘Landskap från Hyvinge - Hyvinkään maisema. Hyvinge, 1916, olja. – Tillhör Direktör Carl Lückou.’ (Landschaft bei Hyvinge [betitelt Schwedisch und Finnisch]. Hyvinge, 1916, oil. – Besitz des Direktors Carl Lückou (sic).)