Auguste Rodin – verkauft

Auguste Rodin (Paris 1840 - 1917 Meudon)

Femme Nue Debout de Dos, 1898-1900

Aquarell und Bleistift auf Papier, 49,5 x 32,2 cm
Signiert unten rechts A. Rodin, eine nicht identifizierbare Inschrift mittig und bezeichnet unten rechts g

Provenienz:
Wohl Octave Mirbeau, Paris1;
Dr. Hermann Ganz, Zürich (1891-?);
Galerie Roland, Browse & Delbanco, London, 1967;
Catherine Gamble Curran, New York;
Sotheby’s, New York, Impressionist and Modern Art day sale, 8. Mai 2008, Lot 116;
Privatsammlung, England.

Ausstellung:
Exposition Rodin, Paris, Pavillon de l’Alma, 1. Juni - 1. November 19002;
Exposition d’ensemble du statuaire A. Rodin, 88 sculptures, 74 cadres dessins, Prag, Kinského Zahrada, 10. Mai - 15. Juli 19023;
Drawings of Importance from 1860 to 1960, London, Gallery Roland, Browse & Delbanco, 1967, Nr. 13.

 

 

 

Wir danken Frau Dr. Christina Buley-Uribe, Paris, für die Bestätigung der Echtheit dieses Aquarells und ihre umfassenden Hinweise auf dessen Entstehungsgeschichte, die diesem Text zugrunde liegen. Sie wird das Werk in das Werkverzeichnis der Zeichnungen aufnehmen.
Einen Einblick in die komplexe Relation von Skulptur und Zeichnung im Werk Auguste Rodins bietet Buley-Uribes Aufsatz Rodin ou la métamorphose de la sculpture en dessin.4 

Abb. 1 Ein weiterer weiblicher Akt aus der Serie die Rodin um 1900 im Pavillion d’Alma ausstellte, Museé Rodin, Paris, Inv. Nr. D4563.

Das vorgestellte Aquarell ist von ungewöhnlicher Größe5, ästhetischem Reiz und auch von besonderem historischen Interesse. Frau Dr. Buley-Uribe ordnet es einer Serie von neun großformatigen Blättern zu, weibliche Akte darstellend (Abb. 1), welche Rodin im Jahr 1900 auf seiner selbstkuratierten Retrospektive im Pavillon de l’Alma6 simultan zu der Pariser Weltausstellung ausstellte. Bisher sind sechs der damals ausgestellten Werke eindeutig identifiziert. Rodin hatte alle Blätter der Serie jeweils auf dem Montagekarton mit Marguerite bezeichnet, zwei mit Marguerite.Mirbeau. Leider ist der Montagekarton unseres Blattes nicht erhalten, aber die überlieferte Mirbeau Provenienz könnte sich auf eben diesen beschrifteten Montagekarton beziehen. Was es mit dieser Bezeichnung auf sich hat, ist nicht ganz klar. Marguerite bezieht sich wohl auf die Figur Gretchens in Goethes Faust7, während die Bezeichnung Mirbeau sicherlich mit dem von Rodin illustrierten Band Jardin des Supplices seines engen Freundes, des Schriftstellers Octave Mirbeau, zusammenhängt. So entstand diese Serie weiblicher Akte wohl unter dem Eindruck zweier äußerst kontroverser literarischer Frauenfiguren: Dem reinen Gretchen in Faust und der dekadenten Clara des Jardin des Supplices. Einen dieser neun aquarellierten Akte hatte Rodin dann tatsächlich auch für die Illustration der luxuriösen zweiten Ausgabe des Jardin des Supplices 1902 verwendet; Herausgeber war Ambroise Vollard.

Abb. 2 Auguste Rodin im Pavillon de l'Alma, 1900

Im Unterschied zu vielen anderen Bildhauern verstand Rodin seine Zeichnungen und Aquarelle nicht als Vorstudien seiner Skulpturen. Während der Betrachter einer Skulptur seinen Standpunkt, die Tageszeit und Lichtsituation, sowie den mit dem Standpunkt wechselnden Hintergrund selbst wählen kann, ist ihm die Kontrolle dieser Parameter bei der Betrachtung einer Zeichnung entzogen; sie liegt in der Hand des Zeichners. Womöglich hat Rodin eben diese unterschiedliche Möglichkeit der Interaktion mit dem Betrachter, welche Zeichnung und Skulptur bieten, besonders gereizt.

In einem Brief an den Bildhauer Antoine Bourdelle äußerte er sich 1903 dazu: Mes dessins sont le résultat de ma sculpture1. Er begreift seine Zeichnungen also als durchaus eigenständigen Teil seines Oeuvres, betont aber gleichzeitig deren Bezug zu den Skulpturen. In vielen seiner Zeichnungen, meist Menschen darstellend, fokussiert er den Umriss, vergleichbar der Wahrnehmung einer Skulptur im Gegenlicht. Eine von Rodins besonderen Fähigkeiten besteht sodann auch darin, das Wesenhafte einer Person in der Silhouette zu offenbaren. Eindrucksvoll kommt dies in jenen von Rodin beauftragten Gegenlichtfotografien des berühmten amerikanischen Fotografen Edward Steichen zum Ausdruck, welche die Silhouette seines Monument à Balzac grandios zur Geltung bringen, fotografiert bei Mondlicht im Garten von Meudon (Abb. 3). Steichens Fotografie hat Rodin tief bewegt: ‚Das ist Christus auf seinem Weg durch die Wildnis’ sagte er zu Steichen. ‚Ihre Fotografien werden die Welt meinen Balzac verstehen machen’. Aus Dank schenkte der Bildhauer dem Fotografen eine Bronze seines L’Homme qui marche.9

Abb. 3 Edward Steichen, Balzac, Towards the Light, Midnight, 1908, Kohledruck, 36,5 x 48,2 cm

 

 

 

 

 

 

 


1 Diese Information erhielt Sotheby’s 2008 von den damaligen Besitzern. Sie kann sich auf den ursprünglichen, heute nicht mehr vorhandenen Montagekarton beziehen, der die Inschrift Mirbeau trug, wie die anderen Montagekartone der Serie im Pavillon de l'Alma. Siehe den nachfolgenden Absatz.

2 Laut der Annahme von Dr. Christina Buley-Uribe.

3 Ibid.

4 Christina Buley-Uribe, ‘Rodin ou la métamorphose de la sculpture en dessin’ in Quatrièmes rencontres internationales du Salon du dessin. Dessins de sculpteurs, II (dir. Guilhem Scherf), Société du Salon du dessin, Paris 2009.

5 Die Anmerkung g in der unteren rechten Ecke bezieht sich wahrscheinlich auf das Format — grand.

6 Die selbstkuratierte Ausstellung war ein großer Erfolg und bedeutete einen Wendepunkt in Rodins Karriere. Internationale Politiker, Künstler, Sammler, Kunstkritiker, Journalisten und Schriftsteller besuchten die Ausstellung. Es trug zu Rodins internationalem Ruf als Vater der modernen Skulptur bei. Der Pavillon de l'Alma war eine moderne Glas-Eisen-Konstruktion, die speziell für die Exposition Universelle am Place de l'Alma errichtet wurde. 1901 wurde der Pavillon abgebaut und auf dem Gelände von Rodins Landhaus Villa des Brillants in Meudon, wo er ein Atelier hatte, rekonstruiert. Viele seiner bedeutendsten Stücke wurden hier geschaffen, und das Haus selbst wurde zur Anlaufstelle für Freunde, Modelle, Mäzene und Prominente aus ganz Frankreich und dem Ausland, einschließlich dem englischen König Edward VII. Rodin lebte und arbeitete dort bis zu seinem Tod 1917.

7 Es könnte auch die Figur der Marguerite aus der Oper Faust von Charles Gounod gemeint sein, die in Paris 1859 Premiere feierte und fortan ein großer Publikumserfolg war.

8 Undatierter Brief von Rodin an Bourdelle zitiert von Judith Cladel, Rodins erstem Biograph: Rodin, sa vie glorieuse, sa vie inconnue, Paris 1936, S. 356.

9 Siehe http://www.musee-rodin.fr/en/resources/educational-files/rodin-and-steichen (Zugriff am 15.10.2018).

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