Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)
Bauernstube mit Kind in der Wiege, 1890
Öl auf Holz, 54 x 45,5 cm
Signiert und datiert unten links M. Lieberman 90.
Provenienz:
Paul Cassirer (1871-1926), Berlin, 1914;
Suzanne Paret, Tochter von Cassirer, seit 1926;
Walter Feilchenfeldt, Kunstsalon Paul Cassirer, Amsterdam, gekauft am 15.9.1936;
Marianne Feilchenfeldt;
Franz Resch, Gauting, gekauft 1953;
Frhr. v. Löffelholz, München, erworben am 24.6.1954;
Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt, Inv. Nr. SGS 2457;
Privatsammlung, Deutschland.
Literatur:
Fritz Stahl, ‚Berliner Kunstschau’, in Die Kunst-Halle, Jg. 1, 1895/96, Nr. 11, 1.3.1896, S. 167 (über die Klubausstellung der ‚Vereinigung der XI’, „Innenraum mit einem Kind in der Wiege“);
Erich Hancke, Max Liebermann, sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, Nr. 534;
Erich Hancke Max Liebermann, sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 250;
Ferdinand Stuttmann, Max Liebermann, Hannover 1961, Nr. 28, mit Abb.;
Katrin Boskamp-Priever, Studien zum Frühwerk von Max Liebermann: mit einem Katalog der Gemälde und Ölstudien von 1866-1889, Hildesheim 1994, Kat. E91;
Matthias Eberle, Max Liebermann, Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, München 1995, Band 2, S. 360-361, Nr. 1890/7, Abb. S. 360.
Ausstellung:
Fünfte Ausstellung der ‚Vereinigung der Elf’, Ed. Schultes Kunstsalon, Berlin 16.2.1896;
Max Liebermann, 70. Geburtstag, Königliche Akademie der Künste, Berlin 1917, Nr. 101;
Deutsche und Französische Meister des XIX u. XX. Jh. aus Berliner, Breslauer u.a. Privatbesitz, Cassirer- Helbing, Berlin 17.5.1927, Nr. 44, Abb. Taf. XV oben;
Albert Welti - Max Liebermann, Kunsthalle Bern, 1937, Nr. 150 (verkäuflich);
Max Liebermann, Neue Galerie Wien, 1937, Nr. 25;
Max Liebermann, 1847-1935, Kunsthalle Basel, 1937, Nr. 142;
Max Liebermann, Kunstverein St. Gallen, 1948, Nr. 28.
Italien ist zu pittoresk. Holland dagegen erscheint auf den ersten Blick langweilig: Wir müssen erst seine heimlichen Schönheiten entdecken. In der Intimität liegt seine Schönheit. Und wie das Land so seine Leute: nichts Lautes, keine Pose oder Phrase.1 (Max Liebermann)
Neben Reisen nach Paris und München machte Max Liebermann Holland zu seiner „Malheimat“ und verbrachte dort ab 1874 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges die Sommermonate. Mit seiner feinsinnigen Beschreibung der Niederlande, insbesondere ihrer Provinz Holland, huldigt Liebermann dem Land der Malerei par excellence. Dort lernt er auch zahlreiche Künstlerkollegen kennen, die als Mitglieder oder Nachfolger der „Haager-Schule“ bekannt sind, wie zum Beispiel August Allebé, Jozef und Isaac Israëls, Jacob und Willem Maris, Anton Mauve, Jan Toorop und Jan Veth.2
Obwohl nicht persönlich miteinander bekannt, interessierte sich auch der junge Vincent van Gogh für Liebermann und fühlte sich dessen Motiven und seinem Kolorit nahe. Überraschend ähnlich sind sich die beiden Maler in den 1880-1890 entstandenen Szenen des alltäglichen Lebens.3
Angeregt durch die alten Niederländer Jacob van Ruysdael, Meindert Hobbema oder Pieter de Hooch4 hielt Liebermann Handwerker, Bauern, Waisenmädchen, arbeitende Frauen in seinen Bildern fest. Das harte Leben der überwiegend ärmlichen Bevölkerung, die vor allem aus Fischern und Bauern bestand, hatte ihn sehr berührt und veranlasste ihn, es in zahlreichen Zeichnungen und Gemälden zu dokumentieren. Diese intensive Beschäftigung mit den Motiven einfacher Handwerker und Bauern, die er in Holland kennen gelernt hatte, brachte Liebermann den Ruf als „Armeleutemaler“ ein.
Bauernstube mit Kind in der Wiege schuf Liebermann im Sommer 1890 während seines mehrwöchigen Aufenthaltes im holländischen Zandvoort. Man blickt in die Stube eines Bauern- oder Fischerhauses. Warmes, mildes Sommerlicht strömt durch das große Fenster in den Raum. Die weißen Gardinen dämpfen das Licht, einem Diffusor gleich, so dass die Schatten der Gegenstände weich zeichnen und die Farben gedämpft wirken. Zu dem schlafenden Kind in der Wiege am linken Bildrand hat sich eine Vorzeichnung erhalten (Abb. 1).5 Auch in anderen Zeichnungen dieser Zeit hat sich der Künstler mit dem Mutter Kind Motiv beschäftigt.
Liebermann malte das Bild auf eine Holztafel, in dieser Zeit für ihn ein ungewöhnlicher Bildträger. Mit schnellen Pinselstrichen trägt er die Farbe auf, im Vordergrund dick, im Hintergrund ist an manchen Stellen die helle Grundierung zu sehen. Der klar erkennbare Pinselduktus bezeugt den dynamischen Malprozess.
Graphisch hat Liebermann das Motiv, das ihm wohl am Herzen lag, mehrfach verwendet. Bereits 1890 entstand die Radierung Kind im Wiegenkorb. 1917 werden schließlich neben einem Sonderdruck sieben Handabzüge des Holzschnittes im Fritz Heyder Verlag herausgebracht.6
1 Max Liebermann, Gesammelte Schriften, Berlin 1922, S. 40.
2 Vgl. Max Liebermann und die Holländer, Kat. Ausst. Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum, Assen, Drents Museum, Zwolle 2006.
3 Vgl. Liebermann und Van Gogh, Kat. Ausst. Berlin, Liebermann-Villa am Wannsee, Köln 2015.
4 Peter de Hooch malte häufig Szenen in Innenräumen holländischer Bürgerhäuser, wobei er sich vor allem mit dem Licht auseinandersetzte. Zeit des Goldenen Zeitalters, in denen die Niederlande eine kulturelle Blütezeit erlebten.
5 Vgl. Hans Rosenhagen, Liebermann, Bielefeld und Leipzig 1900, S. 58, Abb. 57.
6 Vgl. Sigrid Achenbach, Max Liebermanns Arbeiten für den Fritz Heyder Verlag, Potsdam 2002, S. 26-27, Kat. Nr. 7, Abb. S. 25.