Léopold Robert (Les Éplatures, La Chaux-de-Fonds 1794 - 1835 Venedig)
Junge Frau aus Sonnino (Jeune fille de Sonnino), Rom 1820
Öl auf Leinwand, 82 x 65,5 cm
Signiert und datiert unten rechts L.ROBERT / ROMA 1820
Provenienz:
Sammlung Lord Kinnaird, Schottland
Englische Privatsammlung
Literatur:
Zoller, Edmund, Léopold Robert. Sein Leben, seine Werke und sein Briefwechsel, nach Feuillet de Conches, Hannover 1863, S. 280[1]
Gassier, Pierre, Léopold Robert, Neuchâtel, Schweiz, 1983, Kat. Nr. 13
Das vorgestellte Porträt einer jungen Brigantessa, der Forschung bisher unzugänglich, zählt zu den Hauptwerken Roberts. Es entstand 1820 in Rom. Die Hintergründe seiner Geschichte sind durch diverse Quellen detailliert überliefert. Bei der jungen Frau, deren Schönheit nicht nur den jungen Künstler tief beeindruckt haben muss - c’est une beauté comme je n’en avais pas vu encore - handelte es sich um die junge Braut eines Räubers aus Sonnino, der sie aufgrund ihrer Schönheit entführt hatte.[2]
Briganten, so wurden u.a. in der Zeit des Risorgimento nach 1815 die neapolitanischen Rebellen bezeichnet, waren im 19. Jahrhundert zugleich Plage als auch Attraktion der Grand Tour. Einige unter ihnen waren legendär (Abb. 1). Immer wieder kam es zu ernsten Zwischenfällen mit Toten, die der Obrigkeit schließlich Anlass zu Strafaktionen wurden. Opfer einer solchen wurde 1819 auch unsere junge Brigantessa aus dem Dorf Sonnino, zwischen Rom und Neapel gelegen. Nach mehreren schweren Zwischenfällen zerstörten die Behörden das Dorf. Sämtliche 50 Räuberfamilien wurden in Sippenhaft genommen und nach Rom deportiert. Frauen, Kinder und Alte wurden von den Anführern getrennt und in einem Gebäude gegenüber den Thermen des Diokletian inhaftiert. Diese „außergewöhnlichen“ Menschen in ihren bunten Kostümen aus den wilden Bergen erregten einiges Aufsehen. Robert, gleichfalls fasziniert, erkannte ein neues Genre für die Malerei, dem er sich in den Folgemonaten mit einer Vielzahl von Studien widmete.[3]
In einem Brief vom 14. August 1820 an die Mutter berichtet der Künstler ausführlich über die Entstehung vorgestellten Bildes: Le gouverneur de Rome m’a donné une permision pour aller faire quelques études dans une espèce de prison où ils sont tous enfermés. J’allai de suite...et je trouvai...les costumes les plus pittoresques et les plus brillantes de couleurs qui existent.... Je commencai par faire quelques études pour moi... et j'ai fait encore en grand une jeune fille, qui a une tête magnifique, c'est près d'une fontaine, elle se repose sur son vase. Tous ces ouvrages ne sont pas finis, il faut que j'aille passer un mois à la campagne pour faire des études particulières de paysage... ...j'ai une foule de sujets nouveaux qui pourront me faire gagner beaucoup d'argent. [4] Tatsächlich reiste Robert im Oktober und November gleichen Jahres in die Albaner Berge, um auch die notwendigen Landschaftsstudien für sein Gemälde zu fertigen.
Den diversen Werk- uns Ausstellungslisten der Gemälde Roberts zu Folge schuf der Künstler mehrere Bildnisse Sonnineser Frauen, die jedoch kleinformatiger sind, Studiencharakter besitzen oder eine ältere Frau darstellen.[5] Nur eine Fassung des jeune fille in Lebensgröße - en grand naturelle - ist bekannt. Diese wurde neben zwei weiteren Gemälden Roberts 1821 von Lord Kinnaird erworben.[6] Damit muss Charles 8th Lord Kinnaird (1780-1826) gemeint sein, Sammler, Italienreisender und Erbauer des 1817 vollendeten Familiensitzes Rossie Prior, Schottland, wo bis 1948 die bedeutendste private Kunstsammlung Schottlands beherbergt wurde.[7] Charles könnte beim Ankauf dem Rat seines Bruders the Hon Douglas Kinnaird (1788 - 1830) gefolgt sein (Abb.2), der zum maßgeblichen Zeitpunkt in Rom nachweisbar ist und außerdem ein enger Freund Lord Byrons war.[8] Durch Byron nahm - neben Victor Hugo - das Genre der „Räuberromantik“ seinen Ausgang im literarischen Bereich.
Unsere Räuberbraut trägt die Tracht Sonninos. Charakteristisch ist die Farbigkeit und Form der grob gewebten Kopfbedeckung und Wollschürze (Abb. 3, dritte von links oben). Roberts koloristische Brillianz und Detailtreue hat dem lebendigen Ausdruck verliehen. Die schöne Brigantessa zeichnet sich prägnant gegen den blauen Himmel ab. Für den Hintergrund wählt der Maler eine an der Campagna romana inspirierte Ideallandschaft. Im Kolorit bezeugt das Bild Roberts Herkunft von der französischen Schule.
Nach einer ersten Ausbildung im graphischen Bereich kam Robert 1811 in das Atelier von Jacques-Louis David. Nach dessen Verbannung 1816 kehrte Robert in die Schweiz zurück, 1818 ging er nach Rom, 1821 und 1825 hielt er sich in Neapel auf. Auf einer Reise durch Oberitalien machte Robert 1829 Bekanntschaft mit Mitgliedern der Familie Bonaparte, wobei es 1831 in Florenz zu einer Romanze mit Charlotte Bonaparte, der Tochter des Königs von Neapel und Spanien, Joseph Bonaparte. 1832 ließ er sich in Venedig nieder. Hier machte er drei Jahre später seinem Leben ein Ende. Der französischen Romantik verpflichtet, gehört Robert zu den bedeutendsten Schweizer Malern des frühen 19. Jahrhunderts. Mit seinen Brigantenbildern leitete er eine in ganz Europa seit den dreißiger Jahren verbreitete Vorliebe für dieses Genre ein.
[1] 1820. Kopf eines jungen Mädchens aus Sonnino, natürliche Größe. – Lord Kinnaird in Schottland.
[2] Zoller, S. 43.
[3] Robert erwirkte eine Genehmigung, im Gefängnis malen zu dürfen und arbeitete dort täglich über mehr als zwei Monate:...Je n’ai pas mal travaillé...car pendant deu mois je suis persuadé de ne pas avoir perdu une heure...j’ai une foule de sujets nouveaux qui pourront me faire gagner beaucoup d’argent , vgl. Anm. 4.
[4] Zitiert nach Gassier, op. cit., S. 87. Die Publikation des gesamten Briefwechsels von Robert ist in Vorbereitung am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK) in Zürich.
[5] Liste des Bruders Aurèle Werke Lèopolds in Rom, Florenz und Venedig entstanden zwischen 1818 und 1835, vgl. Gassier, op. cit., S. 271f; Ausstellunsliste von Werken Léopolds und Aurèles in Neuchâtel, 1835, vgl. Gassier, op. cit., S. 274f; Manuskript von Feuillet de Conches, Catalogue des peintures, vgl. Gassier, op. cit., S. 278f.
[6] vgl. Anm. 1 und Gassier, op. cit. S. 271, Liste der in Rom ausgeführten Werke Roberts von seinem Bruder Aurèle verfasst: 1821 Trois tableaux pour Lord Kinnaird – Jeune fille À Sonnino (grand.nat.) Brigands & religieuses...
[7] Zur Gründung der Sammlung der Bankiersfamilie Kinnaird unter George Kinnaird, 7th Lord Kinnaird (1754-1805) siehe http://en.wikipedia.org/wiki/George_Kinnaird._7th_Lord_Kinnaird; Zugriff 16.07.2013; zu Charles Kinnaird .www.oxforddnb.com/templates/article.jsp?articleid=15632&back=; Zugriff 16.07.2013
[8]www.historyofparliamentonline.org/volume/1790-1820/member/Kinnaird-hon-douglas-james-william-1788-1830; Zugriff 16.07.2013.