Jakob Philipp Hackert (Prenzlau 1737 - 1807 Florenz)
Pinien bei Castel Gandolfo, 1776
Feder in Schwarz und Pinsel in Braun über Bleistift auf Papier, 52,2 x 39,6 cm
Eigenhändig bezeichnet oben links nella Villa papale a Castel-Gandolfo 1776.
Provenienz:
Privatsammlung, England
Der Landschaftsmaler Jakob Philipp Hackert begann sofort nach seiner Ankunft in Rom im Winter 1768, die landschaftliche Umgebung zu erkunden. Seine Wanderungen führten ihn auch in die Albaner Berge, von den Römern seit der Antike als Aufenthaltsort während der heißen Sommermonate geschätzt; spätestens seit 1775 besaß Hackert ein Landhaus am Albaner See. Die Zeichnungen, die der Künstler hier in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts ausführte, zeigen vor allem Bäume – manchmal im topographischen Kontext, doch häufig auch isoliert, aus dem natürlichen Zusammenhang herausgehoben. Diese Vorliebe Hackerts für den einzelnen Baum zieht sich durch sein ganzes Werk: „Baum-Porträts“ finden sich in allen Schaffensphasen, und meisterhaft ausgeführte Eichen oder Kastanien beleben die Vordergründe fast aller Gemälde. Dabei kam es dem Maler vor allem auf die Wiedererkennbarkeit der einzelnen Bäume an, wie auch ein nach seinem Tod erschienener Artikel überliefert: „Sehr glücklich war er unter andern in der charakteristischen Darstellung des Baumes; daher verdroß es ihn sehr, wenn man nicht jeden Baum in seinen Bildern auf den ersten Blick erkannte.“[1]
Im Sommer 1776 hatte der Künstler sich in sein Landhaus nach Albano zurückgezogen; zwei datierte Zeichnungen belegen Ausflüge an den nahegelegenen Nemisee und nach dem bei Albano gelegenen Ariccia.[2] Wie unser Blatt beweist, besuchte Hackert auch Castel Gandolfo am Albaner See: Hier befindet sich die Sommerresidenz der Päpste, zu der auch die Villa Barberini aus dem 17. Jahrhundert gehört. Im Park dieser „villa papale“ wuchsen die vier in unserer Zeichnung porträtierten Pinien, deren majestätische Höhe durch einige kleinere Laubbäume und Büsche links verdeutlicht wird. In der Ferne ist der Albaner See zu sehen. Die Schönheit und Eleganz der Pinie faszinierte den Künstler seit seinem Eintreffen in Rom; ihr borkiger Stamm, das in einem filigranen Netz emporstrebende Astwerk und schließlich die aus einzelnen Nadelbündeln geformte, schirmartige Krone bildeten eine dauerhafte künstlerische Herausforderung, die ihn seit 1769 begleitete. Aus diesem Jahr datiert eine Zeichnung mit einer Pinie (Abb. 1),[3] die bei Genzano am Nemisee wuchs; eine undatiertes Blatt, wohl in der ersten Hälfte der 1770er Jahre entstanden, zeigt zwei Pinien im Park der römischen Villa Doria Pamphili.[4] In diesen wie in unserer Zeichnung stand zweifellos die Präsentation der hochgewachsenen Bäume vor dem wolkenlosen Himmel im Zentrum seines Interesses. Es geht aber nicht nur um die Schönheit dieser Pinien. Die sorgfältigen Ortsangaben in Hackerts „Baum-Porträts“ weisen darauf hin, dass es meist auch um die Dokumentation eines bestimmten Landschaftsausschnittes geht: Die Bäume übernehmen die Funktion von Landmarken; sie bezeichnen die einzelnen Etappen der Wanderung und markieren den Punkt, an dem ein bestimmter Blick wie hier über den fernen Albaner See aufgenommen wurde. Auf diese Weise „inventarisierte“ Hackert über die Jahre hinweg die von ihm erkundeten Regionen Italiens, bis er im Alter zufrieden an Johann Wolfgang Goethe schreiben konnte: „An Stof fehlet es mir nicht ich habe Tausende Zeichnungen nach die Natur mit richtigkeit gezeichnet, so das ich sagen kan, das ich beinhe den KirchenStat und daß Königreich Napel u Sizilien in meine Portefeuls habe.“[5] Unsere Zeichnung erweist sich somit einerseits als Teil eines Dokumentationsprogrammes, das der Künstler in den 1770er Jahren den Albaner Bergen und ihrem Baumbestand widmete. Andererseits jedoch kann sie als eigenständiges Kunstwerk betrachtet werden und legt eindrucksvoll Zeugnis von Hackerts Meisterschaft als Baumzeichner ab.
Dr. Claudia Nordhoff
[1] Fragmente über Jakob Philipp Hackert als Mensch und als Künstler. Anonym erschienen im Morgenblatt für gebildete Stände am 25. August 1807, Zitat auf S. 810. Hackerts botanische Studien gehen aus seinem kurzen Traktat zur Landschaftsmalerei hervor, in dem er u.a. die verschiedenen Baumarten in drei Klassen unterteilt. Das Traktat wird wiedergegeben in dem von Norbert Miller und Claudia Nordhoff herausgegebenen Band Lehrreiche Nähe. Goethe und Hackert. Bestandsverzeichnis der Gemälde und Graphik Jakob Philipp Hackerts in den Sammlungen des Goethe-Nationalmuseums Weimar, Briefwechsel zwischen Goethe und Hackert, Kunsttheoretische Aufzeichnungen aus Hackerts Nachlass. München/Wien 1997.
[2] Über Hackerts Reise nach Umbrien und in die Marken, die auch Johann Wolfgang Goethe in seiner Biographie des Malers berichtet, informiert ein Brief des mit Hackert gut befreundeten Hofrats Johann Friedrich Reiffenstein (1719-1793) an den holländischen Patrizier Johan Meerman (1753-1815); hier auch zu dem dreimonatigen Aufenthalt in Albano (zitiert von Nordhoff 2012, S. 292). Die Zeichnungen vom Lago di Nemi und aus Ariccia befinden sich beide in Privatbesitz (siehe Nordhoff/Reimer 1994, II, Kat.-Nr. 701, 702).
[3] Jakob Philipp Hackert, „Pinie bei Genzano“. Privatbesitz. Kreide in schwarz, weiß gehöht, 54,2 x 40,1 cm, bezeichnet J. Philipp Hackert f. 1769 in Genzano. Das Blatt befand sich 2013 in der Galerie Le Claire, Hamburg; es ist unveröffentlicht.
[4] Jakob Philipp Hackert, „Pinien in der Villa Doria Pamphili in Rom“. Privatbesitz. Feder und Pinsel in Braun, 38 x 30,5 cm, bezeichnet dans la Villa Pamphili à Rome Ph. Hackert. Das Blatt befand sich 1999 in der Galleria Apolloni in Rom; es ist unveröffentlicht.
[5] Brief vom 10. Mai 1803 in Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Zitiert von Nordhoff 2012, S. 194.