Gustave Doré(Straßburg 1832 - 1883 Paris)
La Prairie, Paris, c. 1855
Öl auf Leinwand, 92,5 x 73 cm
Signiert unten rechts zweimal überlappend in rot und gelb G. Doré
Provenienz:
Im Besitz des Malers bis 1883, zunächst in seinem Pariser Atelier, ab 1869 in der
Doré Gallery, London
Edward Hyde Villiers, 5th Earl of Clarendon Esq. (1846-1914), erworben 1883 in der
Doré Gallery, London (als Fleurs des Champs)
Privatsammlung, Frankreich (als Geschenk 1960er Jahren bis 2015)
Ausstellung:
Paris Salon, 1855, Kat. Nr. 2984 (als La Prairie)
Doré Gallery, London, 1869 (Kat. Nr. 21), ausgestellt wohl 1870, 1872, 1881 (Kat. Nr.
35) und 1882 (Kat. Nr. 33)
Literatur:
Observer, 25.04.1869, S. 5
Christian World Magazine, Juli 1869, S.482
The Architect, 18.09.1869, S.138
Kataloge der Doré Gallery aus den Jahren 1869, 1870, 1881 und 1882
Mark Twain’s 1872 English Journals, in Mark Twain’s Letters 1872-1873, Bd. 5,
S. 614-21
Edmund Yates, Celebrities at Home, London 1877, S. 133
Blanche Roosevelt, Life and Reminiscences of Gustave Doré, New York 1885, S. 346
Blanchard Jerrold, The Life of Gustave Doré, London 1891, S. 132
Wir danken Dan Malan, St. Louis, für seine Hilfe bei der Recherche, Identifikation
und Datierung des Gemäldes.
Mit seinen phantastisch, absurden Motiven gehört Gustave Doré zu den erfindungsreichsten Vertretern des Symbolismus in Frankreich und Europa. Der Autodidakt variierte Sujets, künstlerische Techniken und Gattungen. Er war als Zeichner und Aquarellist, als Maler, Bildhauer und Graphiker erfolgreich. Historische, religiöse, und literarische Themen gehörten ebenso zu seinem Repertoire wie das Genre. Ebenfalls zählt er zu den bedeutendsten Landschafts- und Gebirgsmalern seiner Generation.[1] Am besten bekannt wurde er der breiten Öffentlichkeit wahrscheinlich durch seine Buchillustrationen, die auch die enge Verbindung zu den Literaten seiner Zeit belegen. Wie andere Künstler dieser Generation hatte er mit heftiger Kritik zu kämpfen und erfuhr auch größte Bewunderung, so beispielsweise von Théophile Gautier oder Emile Zola. Er war einer der erfolgreichsten und gefragtesten Künstler seiner Zeit, bekannt nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten. Amerika war ein wichtiger Markt des Künstlers: seine Bibelillustrationen, als ‚Doré Bible’ bekannt geworden, hatten ihn berühmt gemacht. Auch des Malers Gemälde wurden seit den 1860er Jahren in Amerika erfolgreich ausgestellt und gekauft.[2]
La Praire ist innerhalb Dorés Oeuvre ein ungewöhnliches Werk.[3] Dass er es über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten in drei Versionen fertigte, belegt dessen Erfolg beim Publikum.
Aus der ungewohnten Perspektive eines Liegenden blickt der Betrachter in die opulente Blütenpracht einer Sommerwiese mit diversen Gräsern und Wiesenblumen: Klee, Mohn, Nelken, Margeriten, Löwenzahn, Wiesen-Kerbel, Kornblumen und Hahnenfuß. Über dieser überbordenden Vegetation ist ein Streifen blauen Sommerhimmels sichtbar, vor dem bunte Schmetterlinge tanzen.[4] Dem Künstler gelingt trotz expressivem Pinselduktus eine detaillierte, naturnahe Wiedergabe. Einer der frühen Biographen Dorés, Frank Henry Norton, schreibt 1883: Oftmals studierte er an langen Sommertagen die Natur in ihren geheimsten Lieblingsplätzen, während er im hohen Gras und zwischen Wildblumen lag [...].[5]
Wäre da nicht die Sense! Doppelt beschnitten durch den Bildrand, bemerkt der Betrachter sie erst auf den zweiten Blick. Mit dieser plötzlichen Wendung entpuppt sich La Prairie als typisch symbolistisches Werk - die Sense, seit der Antike eine Metapher für Vergänglichkeit und Tod, den ewigen Kreislauf der Natur, dem alles unterworfen ist. Die Wirkung des Werkes auf das Publikum war entsprechend.
Dorés Ruhm und Popularität ermöglichten ihm, in London eine Verkaufsgalerie zu betreiben, die seinen Namen trug. In jener Doré Gallery sah Mark Twain während eines London Besuches 1872 La Prairie und war begeistert.[6] Er vermerkte in seinem Tagebuch: I believe the Dore Gallery has fascinated me more than anything I have seen in London yet. I spent the day there … One large picture represents a bit of prairie - just a little patch of its tall grasses and flowers the same as if you were standing in the midst - and consequently every little detail of every slender weed and flower is minutely represented, although there is an Infinite protrusion of them - and the gaudy butterflies - they are of every species. Very well, one may say, many artists could counterfeit a couple of square yards of prairie. True enough; but while they were filling your heart with a careless delight of the transfer from the smoky city to the charm and the solace of the tranquil field & to the gentle companionship of the butterflies, would they startle you out of your pretty dreams with just a little touch of unobtrusive pathos? Such as, by & by, you all at once observe a scythe lying there half hidden by the luxurious grasses! All beauty must fade; all that is precious must pass away; all that lives must die. Who but Dore could have written so beautiful a sermon with such a simple touch of the brush?
Der Doré Forscher Dan Malan, St. Louis, hat im Zuge der Recherche unseres Gemäldes insgesamt drei Versionen von Dorés La Prairie identifiziert, entstanden über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten. Die verschiedenen Bildtitel dieser Versionen – La Prairie, Fleurs des Champs, Un Coin de Jardin, Midsummer oder Summer – hatten die Identifikation bis dahin erschwert. Unser Gemälde ist die prima idea, die erste Version, die bereits 1855 auf dem Pariser Salon ausgestellt war. Sie begleitete Doré ein Leben lang. Wie die maltechnische Untersuchung und die Doppelsignatur bestätigen, hat er sie im Laufe der Jahre einmal überarbeitet. Lebenslang blieb das Gemälde in seinem Besitz, bis er es in seinem Todesjahr 1883 an den Sammler Edward Hyde Villiers, 5th Earl of Clarendon, verkaufte (Abb. 1).
Die zweite und größte Version befindet sich seit 1873 im Besitz des Museum of Fine Arts in Boston (Abb. 2)[7] Der Verbleib einer dritten, 1867 entstandenen querformatigen Version bleibt ungewiss. [8]
[1] 2014 fand im Musee d’Orsay und anschließend in der National Gallery in Ottawa in Kanda eine umfangreiche Ausstellung über Doré statt. Der Ausstellungskatalog gibt einen ausführlichen Einblick in das Leben und Schaffen des Künstlers. Vgl. Gustave Doré (1832-1883): Master of Imagination, Kat. Ausst. Paris, Musée d’Orsay und Ottawa, National Gallery of Canada, New York 2014.
[2] Vgl. Zafran, ‘Doré in America’, in Kat. Ausst. 2014, op. cit., S. 260-271.
[3] Eric Zafran, Fantasy and Faith. The Art of Gustave Doré, New York 2007, S. 121.
[4] Wir danken Hans Mühle, München, für die Klassifizierung folgender Falter, von links nach rechts und oben nach unten: ein Schwalbenschwanz (Papilio machaon (Linné, 1758)), zwei Bläulinge (nicht zu bestimmen), ein Kohlweißling (Pieris brassicae (Linné, 1758)), ein Tagpfauenauge (Inachis io (Linné, 1758)), zwei Kaisermantel (Argynnis paphia (Linné, 1758). Der Falter ganz am rechten Rand könnte ein Senfweißling (Pieris rapae (Linné, 1758) sein, doch diese Bestimmung ist ebenfalls unsicher. In der Ebene darunter ein Admiral (Vanessa atalanta (Linné,1758)), dann wiederum etwas darunter, ganz rechts, eine Spanische Fahne (Euplagia quadripunctaria (Poda, 1761).
[5] Often in the long summer days he studied nature in her secretest haunts, lying in the long grasses and amid wild flowers [...]. Frank Henry Norton, Paul Gustave Doré, New York 1883, S. 118.
[6] Mark Twain’s 1872 English Journals, in Mark Twain’s Letters 1872-1873, Bd. 5, S. 614-621.
1872 besuchte der amerikanische Schriftsteller Mark Twain die Doré Gallery in London. Begeistert hält er seine Eindrücke in seinem Tagebuch fest. Ob er unsere oder die dritte, querformatige Version von 1867, deren Verbleib unbekannt ist, gesehen hat, bleibt ungewiss. Zeitweise waren diese Gemälde gleichzeitig in der Doré Gallery ausgestellt. Die zweite Version kann Twain nicht gesehen haben, da diese sich seit 1867 in den USA befand.
[7] Zur Provenienz des Gemäldes: Galerie De Vries, 1867-1869; 1871 Verkauf an den Sammler Richard Baker, Boston; 1873 Geschenk von Baker an das MFA (24. Januar 1873), bereits 1871 als Leihgabe ans Museum gegeben. Vgl. Eric Zafran, ‚Doré in America’, in Kat. Ausst., op. cit., S. 264-65.
[8] Gustave Doré, La Prairie, 1867, Öl auf Leinwand, 1,27 x 2,24 cm, signiert und datiert in rot. Das Gemälde wurde 1885 unter der Nummer 40 im Katalog der Vente Doré in Paris aufgeführt. Vgl. Henri Leblanc, Catalogue de l’oeuvre complet de Gustave Doré, Paris 1931, S. 537.