Ferdinand Georg Waldmüller (Wien 1793 - 1865 Hinterbrühl bei Mödling)
„Der junge Knecht mit der Stallaterne“
ein wiederentdecktes Selbstporträt Ferdinand Georg Waldmüllers, 1825
Öl auf Holz, 36,5 x 30 cm
Signiert und datiert unten rechts (am Fuß der Laterne) Waldmüller 1825
Provenienz:
Sammlung Prof. Gierster, Wien, spätestens seit 1845[1]
Ehefrau Malvine Gierster
Sammlung Robert Jonas, seit 1921
Literatur:
Dr. Theodor von Frimmel, Waldmüllerstudien, in: Blätter für Gemäldekunde, Heft 5, 1904, Wien, S.73ff. , Abb. S.75
Arthur Roessler und Gustav Pisko, Ferdinand Georg Waldmüller. Sein Leben, sein Werk und seine Schriften, Wien 1907, Abb. Nr. 14. (Abbildung unseres Gemäldes, mit Bildunterschrift und Maßen Version Hamburger Kunsthalle)
Handschriftliches Gutachten von Theodor von Frimmel mit ausführlichen Angaben zur Provenienz, Wien 1921
Rupert Feuchtmüller, Ferdinand Georg Waldmüller 1793-1865, Leben – Schriften – Werke, Wien/München 1996, S. 39 {erwähnt für das Jahr 1825 eine Wiederholung der Fassung von 1824, ordnet diese Information aber dem falschen Gemälde zu sh. WVZ 155}
Wir danken Frau Dr. Sabine Grabner, Österreichische Galerie Belvedere, Wien, die vorliegendes Gemälde im Original begutachtet hat, für ihre Recherche, die hier in einer gekürzten Fassung vorliegt. Den vollständigen Text wird sie in einem Aufsatz publizieren.
Gemälde älterer Meister waren Ferdinand Georg Waldmüller immer wieder Inspirationsquelle für seine eigenen Bildwerke. So soll es auch nicht verwundern, dass man bei dieser Innenraumdarstellung an die niederländischen Caravaggisten des 17. Jahrhunderts denkt. Es spiegelt sich darin auch Waldmüllers empirisches Interesse. Ob Sonnenlicht oder brennende Kerze ‑ es war die ephemere Vielfalt der Erscheinungsformen des Lichtes selbst, die den Künstler sein ganzes Leben zu rastlosem Studium anregte. Als ob eine Blendung des Im vorliegenden Bild ist die Kerze als Lichtquelle kaum sichtbar hinter einer Laternensprosse verborgen. Zudem ergeben sich optische Spielereien, etwa die Spiegelung der Flamme oder die vielgestaltige Schattenbildung, die sogar den Tabakbeutel aus seiner Bedeutungslosigkeit herausholt. Gut beobachtet ist die Lichtbrechung am gesprungenen Laternenglas, die Spiegelung des Pfeifenkopfes und die leichte Transparenz der hinterleuchteten Finger der linken Hand. Im Wesentlichen aber ging es dem Maler um die Figur des Mannes selbst. Licht und Schatten modellieren auch hier und schälen über dem weißen Hemd ein jugendliches Gesicht heraus, das von langem blonden Haar und einer Pelzmütze gerahmt ist. Der steil von unten auftreffende Schein der Kerze akzentuiert die Gesichtszüge. Die Augenbrauen werfen Schatten, die Augen erscheinen übermäßig groß, mit stark erweiterten Pupillen.
Sieht man von der durch den Lichteinfall bedingten Übersteigerung ab und versucht sich ein möglichst reales Bild von der Physiognomie des jungen Mannes zu machen, kommen erste Ahnungen über die Identität des Modells auf. Das Wissen darüber, dass derartige Beobachtungen bevorzugt an der eigenen Person gemacht werden, ließ die Vermutung immer stärker werden, dass es sich hier möglicherweise um ein Selbstporträt des damals 32jährigen Künstlers handelt. Ein direkter Vergleich mit nachweislichen Selbstporträts des Meisters ist durch die jeweils unterschiedlichen Posen erschwert. Ich bat deshalb den in Schweden lebenden Biologen Martin Braun um seine Hilfe. Einer der Forschungsschwerpunkte von Braun ist die statistische Untersuchung von Gesichtsmerkmalen zur Identifizierung von Persönlichkeiten aus der Vergangenheit, so hat er sich beispielsweise auch mit Wolfgang Amadeus Mozart befasst[2]. In unserem Fall verglich Braun den „Jungen Knecht“ mit den drei hier abgebildeten Selbstporträts von Waldmüller (Abb. 1-3), und kam zu dem Ergebnis dass es sich in jedem Falle um ein Selbstporträt Waldmüllers handeln muss.[3]
Das hier besprochene Werk ist die kleinere Fassung eines Gemäldes aus dem Jahr 1824, welches sich seit 1905 in der Hamburger Kunsthalle befindet (Feuchtmüller Nr. 154)[4] (Abb. 4), ebenfalls auf Holz gemalt. Die Darstellung ist, abgesehen von kleinen Details, auf beiden Bildern gleich. Eine leichte Abweichung zeigen Augen und Stirnpartie, die in der Hamburger Fassung weniger stark vergrößert sind, sowie kleine Abweichungen in der Faltung des Hemdes. Die Eigenhändigkeit ist bei diesen beiden Werken mit Sicherheit anzunehmen. Beide Arbeiten sind am Boden der Laterne signiert und datiert.
Eine weitere dritte Fassung sei erwähnt, die hinsichtlich der Maße mit dem Hamburger Exemplar nahezu identisch ist, jedoch keine Signatur aufweist und in der Qualität hinter den beiden anderen Bildern zurückbleibt.[5] Dieses heute nicht nachweisbare Gemälde war 1993 in einer Ausstellung in Wien[6] zu sehen und ist bei Feuchtmüller unter der Nr. 155 verzeichnet. Ob es sich um eine Kopie fremder Hand, oder eine schwächere, weitere Fassung handelt, muss bis zu einer physischen Untersuchung des Gemäldes offenbleiben.
Unglücklicherweise hat die Forschung, mitunter in Unkenntnis der Existenz von drei Versionen, im Laufe des letzten Jahrhunderts die Angaben zu diesen Werken mehrfach vermischt und in Folge verwechselt. Dies führte zu einiger Konfusion und schließlich zum Verlust über das Wissen von der Existenz vorliegender Version.[7]
Erstmals wurde unsere Fassung 1904 von Theodor von Frimmel publiziert und abgebildet. Zu einer ersten Verwechslung kam es 1907 bei Arthur Roessler, der die Angaben zu unserer Version mit jenen der Hamburger Fassung vermischte. Bis schließlich Bruno Grimschitz 1957 aus der Unstimmigkeit der überlieferten Informationen den Schluss zog, dass nicht drei sondern lediglich zwei Versionen des Gemäldes existieren – jene in der Hamburger Kunsthalle und jene qualitativ schlechtere, unsignierte Version im gleichen Format. Damit verschwindet unsere Version aus dem Gesichtsfeld der Waldmüller Forschung. Feuchtmüller folgt Grimschitz und erwähnt in seinem Werkverzeichnis von 1996 auch nur die bei Grimschitz erwähnten Versionen.
Umso erfreulicher ist jetzt die Wiederentdeckung der signierten und datierten eigenhändigen Version von 1825.
Da die Autorschaft Waldmüllers für vorliegendes Gemälde nachgewiesen ist, wird es mit der Nummer 154a in das Werkverzeichnis von Waldmüller aufgenommen.
[1] Dr. Theodor von Frimmel, Waldmüllerstudien, in: Blätter für Gemäldekunde, Heft 5, 1904, Wien, S.73ff. mit Abb. S.75; Gierster hat Frimmel persönlich mitgeteilt, das Werk sei seit 60 Jahren in seinem Besitz. [2] Martin Braun, Das letzte Porträt von Wolfgang Amadeus Mozart. Ein biometrisch-statistischer Vergleich, in: Rainer Michaelis, Das Mozartporträt in der Berliner Gemäldegalerie, Berlin 2006, S. 19-22. [3] Braun fand mit Hilfe seiner selbst entwickelten quantitativen Analyse von Gesichtsmerkmalen eine Übereinstimmung von insgesamt vier binär-logischen Kriterien. Diese sind die waagrechte Faltenlinie in der Mitte zwischen Kinnspitze und Unterlippe, die doppelte Nasenspitze (bedingt durch das Auseinanderrücken der Knorpelhemisphären), die Erhebung auf der Mitte der Länge des Nasenrückens sowie der relativ seltene Knick im Bogen der Unterkante des oberen Augenlides bei beiden Augen. Die statistische Erhebung vom gemeinsamen Auftreten dieser vier Merkmale in einem Männergesicht ergibt eine Wahrscheinlichkeit von eins zu 28.571, ist also – statistisch gesehen - nur bei jedem 28 571en Mann anzutreffen! Darüber hinaus stellte Braun weder bei den Proportionen von Schädel und Gesicht noch bei den Gesichtsmerkmalen, etwa bei der Mundpartie, nennenswerte Unterschiede fest, sodass hier auf jedem Fall von einem Selbstporträt Waldmüllers gesprochen werden kann. [4] Öl auf Holz, 55 x 45 cm, Bez.u.M. (am Boden der Laterne): Waldmüller 1824. [5] Öl auf Holz, 55 x 44 cm, unbezeichnet, Unbekannter Besitz. [6] Gerbert Frodl und Klaus Albrecht Schröder (Hg.), Wiener Biedermeier. Malerei zwischen Wiener Kongress und Revolution, Ausst.-Kat. Kunstforum der Bank Austria Wien, München 1993, Nr. 34. [7] Theodor von Frimmel hat vorliegendes Gemälde 1904 bei Prof. Gierster gesehen und im selben Jahr auch publiziert. Anlass zu Verwirrung gibt 1907 Arthur Roessler, als er das vorliegende Gemälde mit korrekten Maßen, Datierung und Signatur abbildet, als Standort aber die Hamburger Kunsthalle angibt. Eine Verwechslung - wohl in Unkenntnis darüber, dass zwei Versionen - die Hamburger Version von 1824 und vorliegende Version von 1825 – exisitieren, sowie die schon erwähnte unbezeichnete dritte Version schlechterer Qualität. Als Bruno Grimschitz in den 1950er Jahren an seinem Waldmüller-Werkverzeichnis arbeitete, fand er, vielleicht auf Roesslers Angaben basierend, ein Stammdatenblatt vor, mit einem Foto der Version Hamburger Kunsthalle und den Maßen und der Datierung des hier besprochenen Gemäldes. Statt auf Grund der divergierenden Angaben auf die Existenz einer zweiten Version zu schließen, strich er jene Angaben die sich auf das vorliegende Gemälde bezogen und setzte Maß und Datierung des Hamburger Bildes ein. Er publizierte die Hamburger Version in seinem Werkverzeichnis unter der Nummer 137 und die oben kurz erwähnte dritte Fassung schlechterer Qualität unter der Nummer 153. Zu 153, tatsächlich weder datiert noch signiert, vermerkte er, fälschlicher Weise, signiert und datiert „Waldmüller 1825“. Feuchtmüller berichtigt dies in seinem Werkverzeichnis von 1996: „[bei Grimschitz] irrtümlich als bez. Waldmüller 1825“. Als Provenienz führt Feuchtmüller nun Malvine Gierster an, sicherlich eine Verwechslung mit der Provenienz vorliegenden Gemäldes. (Rupert Feuchtmüller, Ferdinand Georg Waldmüller 1793-1865, Leben – Schriften – Werke, Wien/München 1996, RF-Nr. 155). So verschwand unsere Version aus dem Gesichtsfeld der Forschung.