Édouard Vuillard
(Cuiseaux 1868 – 1940 La Baule)
Le Pétunia, um 1889-90
Öl auf Pappe, 27,5 x 16,5 cm
Stempel unten rechts: EV (Lugt 909a)
Provenienz:
Paris; Atelier des Künstlers
Paris; Galerie Bérès
Paris; François Reichenbach
USA; Privatsammlung
Paris; Inna und Boris Salomon
Literatur:
Antoine Salomon und Guy Cogeval, Vuillard, Le regard innombrable, Catalogue critique des peintures et pastels, Paris 2003, Bd. 1, S. 97, Abb. II-36.
Als würde man mit leichter Aufsicht, etwa durch ein Fenster, in die Intimität eines kleinen Gärtchens blicken. Eine rotbraune Bordüre, ihre Materialität ist nicht festgelegt, es könnte auch eine Fenstersprosse sein, durchtrennt ein Beet mit Blumen, Gräsern und Blättern. Durch den Verzicht auf Perspektive, betont der Künstler die Zweidimensionalität des Bildträgers, den er in zwei Felder unterteilt, eines etwa doppelt so groß wie das andere. Ornamental sind darauf Blätter, Halme und Blüten verteilt. Der erdige Ton des Bildträgers, einer unbehandelten braunen Pappe, dient dem kleinen Naturstück als Grund. Einen besonders reizvollen Aspekt der kleinen Komposition liefert der wässerig bis pastos variierenden Farbauftrag. Er unterstützt Vuillards Angebot an den Betrachter die Arbeit gegenständlich oder eher abstrakt aufzufassen. Im unteren Segment leuchtet, pastos ausgeführt, die weiß-rosa changierende Petunie, nach der die kleine Arbeit benannt ist.
Vuillard wird in ärmliche Verhältnisse geboren. Die Kriegsauszeichnung seines früh verstorbenen Vaters ermöglicht ihm eine Schulbildung. Die Mutter betreibt in Paris eine kleine Nähstube, die das familiäre Fortkommen sichert. Vuillard lebt bis zum Tode der Mutter 1928 in ihrem Haushalt. Sein Atelier hat er in seinem Schlafzimmer untergebracht. Seine Bildwelt entsteht in der Intimität dieser kleinbürgerlichen Existenz.
Seine künstlerisch prägende Ausbildung erhält er, wie viele andere wegweisende Künstler seiner Generation ab 1886 an der Académie Julian. 1891 stellte Vuillard zum ersten Mal auf dem Salon des Indépendants in Paris aus. Er lernt die Brüder Alexandre und Thadée Natanson, Herausgeber der Kunstzeitschrift La Revue Blanche kennen und beliefert sie mit Grafik, ein Medium, das er seine ganze Karriere über begeistert nutzt. 1889 führt sein Freund Maurice Denis ihn bei einer Künstlergruppe ein, die sich Les Nabis (die Propheten) nannte. Die bekannteren Mitglieder – alle waren Absolventen der Académie Julian – waren Félix Vallotton (1865 – 1925), Maurice Denis (1870 – 1943), Paul Sérusier (1864 – 1927), Pierre Bonnard (1867 – 1947) und Ker-Xavier Roussel (1867 – 1944).
Die jungen Künstler wandten sich gegen die auf der Akademie gelehrte illusionistische Malerei und bewegten sich auf unterschiedlichen Wegen hin zu einer Malerei die Gauguin mit dem Terminus Synthetismus belegt hatte. Der Versuch individuelle Empfindungen und Erinnerungen zu visualisieren. Ein dekorativer Stil, der Form, Motiv und Bedeutung zusammenführt und umsetzt, ohne die Illusion von naturalistischer Farbgebung, ohne Volumen und Perspektive, ähnlich der Bildsprache japanischer Holzschnitte.[1]
Diese jungen Künstler versuchen die Malerei wiederzubeleben. Sie nutzen Form und Farbe als Mittel des unvermittelten persönlichen Ausdrucks und verkörpern eine Idee der „reinen Malerei“ Sie entwickeln eine Vorliebe für eine synthetische Methode, die sich mehr auf die Gedächtnis- und Vorstellungskraft als auf direkte objektive Realität stützt. Angeregt durch die Malerei Paul Gauguins und den Pointillismus experimentieren die Nabis-Künstler mit einer neuen Auffassung des Bildraums. Sie gelten als Pioniere des modernen Dekors, das direkt mit dem alltäglichen Leben verbunden ist. Sie schöpfen ihre Inspiration von den japanischen Drucken, die sie 1890 bei einer Ausstellung in der École des Beaux-Arts in Paris entdecken. Die Nabis lassen sich von diesen flachen Bildern inspirieren, zugunsten einer Interpretation der Wirklichkeit. Ihre Kompositionen zeichnen sich durch die Verwendung von leuchtenden Farben, wellenförmigen Linien, flacher Perspektive und Formen mit dicken Umrissen aus, die sich vom Hintergrund abheben.[2]
Die Meisten Werke offenbaren sehr intime und vertraute Umgebungen von Édouard Vuillard. Daher zeigen eine Vielzahl von Bilder Interieur- und Gartenportraits.
Édouard Vuillard widmete sich in Le Pétunia der malerischen Umsetzung seiner Eindrücke. Dabei behandelt er die Formen frei und schematisch in einer Komposition ohne definierte räumliche Anhaltspunkte. Der dekorative Einfluss der Nabis-Gruppe macht sich darin bemerkbar. Indem er die illusionistische Nachahmung negiert und die natürliche Zweidimensionalität des Trägers bekräftigt, entwickelt Vuillard eine ornamentale Kunst mit vereinfachten Formen, geschmeidigen Linien und floralen Motiven ohne Modellierung, die den Raum sättigen.
- Francesca Berry, Édouard Vuillard: Nabi and intimist, https://artuk.org/discover/stories/douard-vuillard-nabi-and-intimist, aufgerufen am 18.05.2022.
- Ausst. Kat. Les Nabis et le Décor. Bonnard, Vuillard, Maurice Denis… Hrsg. von Elise Dubreuil u.a., Paris 2019.