Carl Gustav Carus (Leipzig 1789 - 1869 Dresden)
Ruine Eldena mit Hütte bei Greifswald im Mondschein, 1819/20
Öl auf Leinwand
43 x 33,2 cm
Provenienz:
Sammlung Pfarrer Rietschel, Leipzig; Nach Prause, 1968
Bremen, Sammlung Dietze (alter Familienbesitz)
Ausstellung:
Dresden, Dresdener Akademie-Ausstellung, 1820 (Fenster einer verfallenen Abtey im Mondschein. Phantasie), Nr. 162[1]; Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister and Residenzschloss Dresden; Berlin, Alte Nationalgalerie: Carl Gustav Carus, Natur und Idee, 2009-10, Kat. Nr. 28, mit Abb.
Literatur:
Schorns Kunstblatt, 1820, S. 380; Gerda Grashoff, Carus als Maler, Lippstadt 1926, S. 31; Marianne Prause, Carl Gustav Carus als Maler, Köln 1963, S. 30; Marianne Prause, Carl Gustav Carus. Leben und Werk, Berlin 1968, S. 101, Nr. 63, mit Abb.; Stefan Grosche und Jutta Müller-Tamm, Naturwissenschaft und Kunst im Briefwechsel zwischen C. G. Carus und Goethe, Göttingen 2001, S. 270
Carl Gustav Carus ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der Goethezeit. Der universal begabte und gebildete Arzt und Naturforscher war auch als Schriftsteller tätig und gehört zu den bedeutendsten Künstlern und Theoretikern der deutschen Romantik. Seit 1814 lebte er in Dresden. Seine Briefe zur Landschaftsmalerei gelten als ein Schlüsselwerk zum Verständnis der Ästhetik deutscher Landschaftsmalerei der Romantik.[2]
Das um 1820 entstandene Gemälde die Ruine Eldena darstellend, ist die erste von drei Fassungen, die Carus dem Motiv widmete (Abb. 2).[3] Voraus ging eine Bleistiftskizze, die der Künstler während eines abendlichen Spaziergangs am 13. August 1819 vor dem Motiv aufgenommen hatte (Abb. 1).[4] Der Besuch von Greifswald und der nahe gelegenen Ruine des ehemaligen Zisterzienserklosters Eldena bildete den Auftakt einer achttägigen Rügenreise, die Carus in den Spuren des seit 1818 befreundeten Caspar David Friedrich unternahm.
Friedrich, der in Greifswald geboren und aufgewachsen war, gab der Landschaft um die ehemalige Abtei Eldena vor den Toren der Stadt in seinem Werk den Stellenwert eines Leitmotivs, das der Veranschaulichung des Vergänglichkeitsgedankens diente. Carus orientiert sich in seinem Frühwerk wiederholt an Friedrich. So ist eine Sepia Friedrichs aus dem Jahr 1814 das Vorbild für die von Carus gewählte Perspektive aus südwestlicher Richtung und den Blick auf die erhaltene Westfassade der Abtei gewesen (Abb. 3).[5]
Carus’ Landschaften sind zu Beginn der 20er Jahre unter dem Einfluss Friedrichs gänzlich romantisierend aufgefasst. Die steil gegen den nächtlichen Himmel aufstrebende Ruine gibt der Maler in Untersicht und eng gefasstem Ausschnitt. Das kühle Mondlicht verfremdet die Szenerie und lenkt den Blick auf den gotischen Fensterbogen der Ruine. Das warme Kerzenlicht, welches das Hüttenfenster erleuchtet, steht dem entgegen.
Carus’ besonderes Interesse gilt bereits in diesen Jahren dem Nachtbild und den Lichteffekten des Mondes. Dies ist einerseits auf die emotionale Aufladung des Erdtrabanten in der Literatur und Malerei der Romantik zurückzuführen, andererseits auf Carus` naturwissenschaftliches Interesse an atmosphärischen Phänomenen. Im zehnten Brief seiner kunsttheoretischen Schrift „Briefe über Landschaftsmalerei“ verfasste er ein eigenes Kapitel über die von ihm so bezeichneten „Mondscheinbilder“.[6] Die romantische Synthese von „Gemüt“ und Naturerlebnis verbindet er mit dem Bestreben, die Darstellung der Natur mittels einer genauen Betrachtung der Licht- und Farbverhältnisse zu objektivieren.[7]
Carus rezipierte das Friedrichsche Schaffen nachhaltig, mit der Entwicklung eigener malerischer Ambitionen jedoch zunehmend kritisch. Bereits 1819 schrieb er an den Freund Johann Gottlob Regis über Friedrichs Klosterfriedhof im Schnee[8]:…die Eichengerippe sind äußerst wahr, doch sieht das Ganze wieder etwas barock und architektonisch aus, überhaupt ist in ihm…die Neigung zur Architektur herrschend, und beeinträchtigt die Freiheit der Landschaftsnatur…[9]
Vor dem Hintergrund romantischer Spiritualität setzt Carus dem Werk Friedrichs eine neue, um Objektivität bemühte, naturwissenschaftliche Rezeption von Natur entgegen, die sein bildnerisches und kunsttheoretisches Schaffen bestimmt.
[1] Zeitgenössische Kritik in Schorns Kunstblatt 1, 1820, S. 380: Nr. 162, Fenster einer verfallenen Abtei, durch das man in einen mondbeleuchteten Himmel sieht. Diese Darstellung gehört in das Fach des Mystischen, worüber ich bei Friedrich ausführlicher sprechen werde. In Hinsicht der Malerei ist gegen das gotische Fenster und den Himmel nichts zu erinnern…Ähnlich, doch nicht so gesucht, ist das gotische Fenster von Carus, es macht nicht die gewünschte Wirkung, weil das beabsichtigte zu offenbar ist. Möchten doch beide ihre Phantasie durch Geschmack zügeln, ihr hochpoetisches Gemüt wird uns dann mit Vergnügen beschenken, die noch nach Jahrhunderten unsere Enkel erfreuen werden. [2] Carl Gustav Carus, Zehn Briefe und Aufsätze über Landschaftsmalerei mit zwölf Beilagen und einem Brief von Goethe als Einleitung, 1815-1835, Leipzig und Weimar 1982 [3] -Klosterruine Eldena bei Greifswald, Öl auf Leinwand, 20,7 x 27,9 cm, signiert und datiert unten rechts „Carus 1823“, Klassik Stiftung Weimar, Museen (Goethe-Haus), Inv. Nr. GGE/00443. Geschenk von Carus an Goethe, vgl. Abb. 2.
-Mondnacht über der Ruine Eldena, 1840, Aquarell, Gouache, 17,3 x 23, bezeichnet unten links „C.G. C.“ und rechts „Carus“, Leipzig, Museum der bildenden Künste, Inv. Nr. I 3887.
-Prause verzeichnet eine Replik „Ruine Eldena im Mondschein“, 22 x 14 cm, „am Haus zwei erleuchtete Fenster, das Haus selbst in Seitenansicht“, ehemals in der Sammlung Grosell, Kopenhagen, seit 1932 vermutlich in der Kunsthandlung Rusch, Dresden (Prause 1968, Nr. 64).
[4]C. G. Carus, Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten, Leipzig 1865-66, Bd. 1, S. 262; Kupferstich-Kabinett, Dresden, Inv. Nr. C1963-450, vgl. Abb. 1. [5] Kupferstich-Kabinett, Dresden, Inv. Nr. C 1936-35, vgl. Abb. 3. [6] Carl Gustav Carus, Zehn Briefe…, op. cit., S. 115-119. [7] Karge, Kendrik, ‚Die Landschaftsbriefe von Carl Gustav Carus und ihre Rezeption in der zeitgenössischen Kritik und Kunstliteratur’, in Carl Gustav Carus, op. cit., Essays, S. 233ff. [8] 1818, Öl auf Leinwand, 121 x 170 cm, ehem. Nationalgalerie Berlin, 1945 verbrannt; vgl. Börsch-Supan/Jähnig 1973, Nr. 254. [9]Carus an Regis. Eine Brieffolge von 1814-1853, Maschinenschriftliche Abschrift von Marianne Prause, Leipzig 1956, Brief Nr. 19, 3.5.1819