Arnout Vinckenborch – VERKAUFT

Arnout Fredericksz. Vinckenborch
(Alkmaar ca. 1590 - 1620 Antwerpen) 

Auferweckung des Lazarus, um 1617/20

Öl auf Holz, 107 x 148 cm

Literatur:
Hans Vlieghe: Rubens’ beginnende invloed: Arnout Vinckenborch en het probleem van Jordaens’ vroegste tekeningen, in Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek, 38/1987, 3S. 83-396.

2009 bis 2019 Leihgabe im Angermuseum Erfurt

 

 

Wir danken Herrn Dr. Wolfram Morath-Vogel für seinen Text zu Vinckenborchs Auferweckung des Lazarus:

Arnout Fredericksz. Vinckenborchs Gemälde sind überaus selten anzutreffen. Doch bedarf diese Feststellung einer wichtigen Ergänzung: Ein sehr wesentlicher Teil der malerischen Lebensleistung des Nordniederländers verbirgt sich in den Bildern der frühen Antwerpener Jahre von Peter Paul Rubens, der ihn (noch bevor van Dyck hinzukam) als fähigen Mitarbeiter seiner ersten Werkstatt eingegliedert und dabei künstlerisch wie maltechnisch entscheidend geformt hat. Wie andere Mitarbeiter der Rubenswerkstatt, hat auch Vinckenborch, neben der Arbeit für Rubens, selbständige Bilder gemalt. Um 1590 in Alkmaar geboren, aufgewachsen in Amsterdam, lässt er sich kurz vor 1614 in Antwerpen nieder. 1616 wird er dort Freimeister. Sein früher Tod hat den Schaffensumfang auf wenige Bilder begrenzt.

Dargestellt ist eine zentrale Begebenheit der Lebensgeschichte Jesu auf dem letzten Weg nach Jerusalem im Vorfeld seines Leidens, wie sie im elften Kapitel des Johannesevangeliums überliefert ist. Es war die Auferweckung des Lazarus, die den Beschluss der Gegner Jesu, ihn zu töten, unmittelbar ausgelöst hat (Joh. 11,53). Vor der Erweckung des toten Lazarus zum Leben – Herr, er riecht schon, denn er ist schon vier Tage tot (Joh. 11,39) – steht das Selbstzeugnis Jesu gegenüber Martha, der Schwester des Toten, dessen Wahrheit sich im anschließenden Wunder bezeugt: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und an mich glaubt, wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? (Joh. 11, 25 f.). Thema des Gemäldes ist über das buchstäblich dargestellte Geschehen hinaus die Auferstehung des Fleisches im Horizont der Botschaft Christi. Der Maler der Barockzeit – von Herder als „emblematisches Zeitalter“ treffend charakterisiert – verbindet die leiblich konkrete Sinnfälligkeit des biblischen Stoffes mit zahlreichen Anspielungen auf dessen das Sichtbare übersteigenden Sachgehalt. Das aber erfordert beides: den schauenden und den lesenden Blick.

Vinckenborch hält sich an den Text und betont dabei den sinnlichen Aspekt (den es jeweils zu transzendieren gilt): Ein Jünger hält sich ostentativ die Nase zu; Marthas Schwester Maria, Jesus das Ohr und die ganze innere Aufmerksamkeit zuwendend, kauert zu seinen Füßen, während die praktisch denkende Martha aktiv eingreift und das Nächstliegende tut, indem sie dem gerade erwachenden und sich aus dem Grab erhebenden Bruder, ihn stützend, zu Hilfe eilt. Die geistreiche Komposition macht ihr Handeln als Verlängerung der Machtgebärde Christi anschaulich. Der Handlung Marthas antwortet die Figur des Apostels Petrus, der dem zum Leben erweckten Lazarus das Leichentuch abnimmt. Die Nebenszene ist eine Anspielung auf die berühmte Begegnung Jesu mit den Schwestern Maria und Martha, von der das zehnte Kapitel des Lukasevangeliums berichtet. Damit vergegenwärtigt Vinckenborch dem verständigen Betrachter über das unmittelbare Wundergeschehen hinaus den uralten Rangstreit zwischen vita activa und vita contemplativa, der – denn Maria hat das bessere Teil erwählt (Lk 10, 42) – auch einen leisen Wink enthält, was die Legitimation des Bildes und der Kunst selbst anlangt.

Mit seinem großen Lehrmeister teilt Vinckenborch maltechnisch das sonst nur Rubens eigene Verfahren der Imprimitur; es ist besonders gut zu beobachten an den beiden Köpfen der links im Bild hinter dem knieenden Rückenakt stehenden Zeugen des Geschehens. Vor allem aber teilt er mit Rubens das Pathos der Leiblichkeit, das ja fester Bestandteil der Lazarus-Thematik ist. Vinckenborch folgt noch vor Jacob Jordaens dem frühen Antwerpener Stil des Rubens in seiner eminent plastischen Ausprägung mit Bezug auf die kanonischen Vorbilder des klassischen Altertums, auf die italienische Renaissance und auf den Neuerer Caravaggio. So intensiv hält Vinckenborch sich bis in Einzelheiten des maltechnischen Verfahrens an das große Vorbild, dass seine Bilder und Zeichnungen gelegentlich Rubens zugeschrieben worden sind. Man erkennt … den Einfluss von Michelangelo in der kräftigen Körperbildung vieler Figuren, die auch bei Rubens in gleichlautenden Kompositionen anzutreffen sind. Charakteristisch für Vinckenborch sind … auch die großen Querformate mit der kolossalen Figurenbildung (Axel Heinrich). An Rubens erinnert auch die Didaktik der Bildordnung: Dem leichenhaften Inkarnat des Lazarus wird das gesunde Inkarnat des links Knieenden effektvoll kontrastiert; das Aufgerichtetsein Christi, der mit fordernder Gebärde den Toten ins Leben ruft, wird durch das Motiv der zu seinen Füßen kauernden Maria kontrastiv verstärkt. Die Komposition paraphrasiert in Form und Kolorit eine hochformatige Darstellung gleichen Themas von Rubens; die Rückenfigur des knieenden Mannes finden wir auch auf der Mitteltafel von Rubens’ Entwurf zum Genter Altar (London, National Gallery). Hans Vlieghe hat in der ersten Veröffentlichung des von ihm Vinckenborch zugewiesenen Gemäldes zutreffend bemerkt, dass die Figur des Lazarus zurückgeht auf die motivgleiche Erfindung in Rubens’ großem Jüngsten Gericht der Alten Pinakothek in München. Denkbar ist, dass Vinckenborchs Lazarus zusammen mit der fast genau formatgleichen Heilung des Gichtbrüchigen (vormals Sammlung Messerschmidt, Basel, Abb. 8 bei Vlieghe 1987) zusammen mit weiteren Bildern zu einer Bilderserie von Darstellungen der Wundertaten Christi gehört haben mag.

Die Auferweckung des Lazarus gehört zu den anspruchsvollsten und besterhaltenen Beispielen seiner Kunst. Gegenwärtig sind kaum mehr als zehn eigenständige Gemälde seiner Hand identifiziert. Vinckenborch war zusammen mit Rubens, Jordaens, van Dyck und weitern Antwerpener Malern beteiligt an den Fünfzehn Mysterien des Hl. Rosenkranzes, die sich noch heute in der Antwerpener St. Paulskirche befinden; zwei große Holztafelbilder sind im Ashmolean Museum, Oxford. Sein Werk bleibt zu entdecken.

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