Emil Orlik (Prag 1870 - 1932 Berlin)
Landschaft mit dem Fuji im Hintergrund, 1908
Öl auf Leinwand, 120,5 x 154,5 cm
Signiert und datiert unten links in Rot ·E·ORLIK·08·
Wir danken Dr. Birgit Ahrens und Dr. Agnes Matthias für ihre Hinweise zu Emil Orlik und dessen Reise nach Japan.
Emil Orlik teilte seine Begeisterung für Japan mit vielen anderen Künstlern seiner Zeit. Sie nährte sich an jenen japanischen Artefakten, allen voran den japanischen Farbholzschnitten, die ab der Jahrhundertmitte, seit der wirtschaftlichen Öffnung Japans nach Europa kamen. Anders als den meisten Zeitgenossen genügte Orlik dies jedoch auf Dauer nicht. Er wollte in die fremde Kultur eintauchen und die Technik des japanischen Farbholzschnittes vor Ort selbst erlernen. So reiste er, getrieben von ähnlichen Sehnsüchten wie sie beispielsweise auch Gauguin und Nolde trieben, auf der Suche nach fremden Welten und dem authentischen Erleben fremder Kulturen um 1900 als einer der ersten europäischen Künstler nach Japan. Sein zehnmonatiger Aufenthalt als lernender Künstler[1] blieb in seinem Werk lebenslang präsent.[2] So wurde er zu einer Art Missionär einer ‚wahren’ ostasiatischen Kultur[3].
Nach 200jähriger Isolation erfolgte erst 1854 die durch den Westen erzwungene Öffnung Japans. So erreichten auch japanische Kunstwerke Europa und übten, allen voran der japanische Farbholzschnitt, einen starken Einfluss auf die europäische Kunst aus. So begeisterte auch auf der Pariser Weltausstellung von 1878 japanische Kunst das Publikum: Utagawa Hiroshiges Landschaften, Kitagawa Utamaros Kurtisanenbildnisse sowie Katsushika Hokusais Darstellungen des Fuji, die Orlik als direkte Inspiration für seine Darstellung des berühmten Berges dient. Félix Vallotton, Edouard Manet und Edgar Degas adaptierten gestalterische Merkmale der Ukiyo-e[4] Farbholzschnitte wie die Parallelperspektive, den Verzicht auf Plastizität oder die Betonung der Kontur. Auch Orlik setzt sich bereits vor seiner seiner Japanreise mit japanischer Kunst auseinander und beteiligt sich somit an der Genese jenes europäischen Stiles der als Japonismus bekannt geworden ist und ab den 1860er Jahren zunehmend Einfluß auf das europäische Kunstschaffen gewann.
Orliks Ankunft in Tokio im Jahr 1900 erfüllte zunächst nicht seine Erwartungen. Zu weit war die Verwestlichung schon vorangeschritten und überdeckte jenes traditionelle Japan, welches vorzufinden er erwartet hatte. Dies änderte sich erst Ende September 1900 als Orlik zu einer Reise von Tokio nach Kyoto aufbrach. Auf dem Weg machte er Halt in Kamakura, Enoshima und Hakone in der Nähe des Berges Fuji. Erst auf diesen Wanderungen in das Landesinnere lernte er das „Alte Japan“ kennen. Seine Beobachtungen hielt er in Skizzen fest, die als Grundlage für später gefertigte Druckgraphiken und Gemälde[5] dienten. Unsere großformatige, 1908 datierte, farbenprächtige Herbstlandschaft mit dem Fuji im Hintergrund ist ein neu entdecktes Hauptwerk Orliks, in dem er die landschaftliche Schönheit Japans zelebriert. Die stilisierte, flächenhafte Darstellung mit dekorativer Wirkung ist ebenso wie der erhöhte Blickpunkt der Bildkompositon, die Gestaltung durch Farbflächen und die Schattenlosigkeit auf japanische Einflüsse zurückzuführen.
Motivische Bezüge weist unser Gemälde mit den Radierungen Der Fuji bei Hakone von 1921 (Abb. 1) und Am Abend von 1901 auf.[6] Auch nimmt Orlik das Motiv der zwei Japanerinnen unter einer Weide wieder auf, welches er auf eine Postkarte an seinen Freund Max Lehrs 1900 zeichnete (Abb. 2). Ein direktes japanisches Vorbild für unser Gemälde ist nicht bekannt. Jedoch ist die Nähe zu Katsushika Hokusais 36 Ansichten des Fuji (Fugaku sanjūrokkei) zu spüren; so übernahm Orlik die mittige Anordnung des Berges und dessen Spiegelung im Wasser vom Blatt Spiegelung im See Misaka (Kōshū Misaka suimen) (Abb. 3)[7].
1909 fand eine große Einzelausstellung Orliks im Kunstsalon Fritz Gurlitt in Berlin statt, auf der er auch Graphik und Malerei mit japanischen Motiven zeigte. Ob Orlik das vorgestellte Gemälde zu eben diesem Anlass schuf ist wahrscheinlich, aber mangels einer Ausstellungsliste leider nicht nachweisbar.[9] Eventuell könnte Orlik die Anregung zu unserem Gemälde auch durch die japanische Thematik von Theodor Wolffs Stück Niemand weiß es für die Berliner Kammerspiele empfangen haben, zu dem er Bühnenbild und Kostüme entwarf[10].
Der in Prag geborene Emil Orlik studierte ab 1891 in München. Zusammen mit Otto Pankok experimentierte er mit grafischen Techniken. Im Jahr 1899 trat Orlik der Wiener Sezession bei. Seine erste grafische Mappe Kleine Holzschnitte erschien 1900. Noch im selben Jahr unternahm der Künstler seine erste Reise nach Japan. 1904 verlegte er sein Atelier kurzfristig von Prag nach Wien. Dort wurde seine Auseinandersetzung mit dem japanischen Farbholzschnitt wegweisend für die Wiener Secession. Wenig später wurde er als Professor an die staatliche Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin berufen und trat der Berliner Secession bei. Schnell avancierte er, wie zuvor bereits in Wien, zu einem gefragten Maler, Grafiker, Gesellschaftsporträtisten und Bühnenbildner.
[1] Peter Voss-Andreae (Hg.), Emil Orlik in Japan. Wie ein Traum!, Kat, Ausst. Hamburg, Museum für Kunst & Gewerbe, Hamburg 2012 S. 12. [2] Ende 1911 bis 1912 reiste er erneut nach Japan. Die zweite Reise hatte keine erwähnungswerten Einflüsse auf Orliks Schaffen gebracht. [3] Zitiert in Agnes Matthias (Hg.), Zwischen Japan und Amerika. Emil Orlik, ein Künstler der Jahrhundertwende, Kat. Ausst. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Bielefeld 2013, S. 20. In den folgenden Jahren nach seiner Reise hielt er über seine Erlebnisse und Erfahrungen Vorträge, publizierte im Ver Sacrum und gab ein 16-teiliges Mappenwerk Aus Japan heraus. Auch baute er eine eigene Sammlung japanischer Holzschnitte auf und war auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland - auch in Japan - vetreten. [4] Ukiyo-e, die Bilder der fließenden, vergänglichen Welt, beeinflussten die westliche Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Gattung des Farbholzschnittes hatte sich Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelt. Vgl. Matthias, op. cit., S. 14. [5] Vgl. Setsuko Kuwabara, Emil Orlik und Japan, Heidelberger Schriften zur Ostasienkunde, Bd. 8, Frankfurt am Main 1987, S. 88-92. Im Gegensatz zum druckgrafischen Werk Orliks haben sich sehr wenige Gemälde mit japanischen Themen und Motiven erhalten. Einige wenige sind jedoch in Publikationen und Briefen erwähnt, beispielsweise eine Folge von vier Landschaften, die eine Berglandschaft, einen Garten, einen Bergsee und einen Wasserfall darstellen. Vgl. Hans Singer, ‚Emil Orlik - Wien. Otto Eckmanns Nachfolger in Berlin’, in Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 15, Darmstadt 1904/05, S. 376-7. [6] Emil Orlik, Am Abend, 1901, Blatt 12 der Mappe Aus Japan, Radierung, Staatsgalerie Stuttgart / Graphische Sammlung. [7] Katsushika Hokusai (1760-1849), Spiegelung im See Misaka, ca. 1830-32, polychromer Holzschnitt, 24.4 x 37.5 cm, Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. Nr. JP2969. [8] Die Japanreise 1900 ist durch Briefe an Max Lehrs, zu dieser Zeit Assistent im Dresdner Kupferstichkabinett, gut dokumentiert. [9] Kunstchronik. Wochenzeitschrift für Kunst und Kunstgewerbe, N.F. 20, 1909, S. 203. [10] Vgl. Birgit Ahrens, ‚Denn die Bühne ist der Spiegel der Zeit‘. Emil Orlik (1870-1932) und das Theater, Kiel 2001.