Pietro Antonio Rotari (Verona 1707 - 1762 St. Petersburg)
Schlafender Knabe, Dresden 1753-6
Öl auf Leinwand, 43,5 x 34 cm
Provenienz:
Wohl Auftrag Augusts III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen (1696 - 1763)
Kunsthandlung Adrien Guéry, Paris
Privatsammlung, Frankreich (1917 bis heute)
Wir danken Prof. Gregor Weber, Rijksmuseum Amsterdam, für die Bestätigung der Authentizität des Gemäldes von Rotari auf Grundlage einer Abbildung.[1]
Einem Voyeur gleich, beobachtet der Betrachter den schlafenden Knaben. Seine entspannten Gesichtszüge, die geröteten Wangen und das die Lippen umspielende Lächeln stellen ihn in einem Moment höchster Privatheit dar. Der Junge wurde auf einem Stuhl sitzend vom Schlaf übermannt und hat darüber versäumt seine braune Jacke - der linke Arm steckt noch im Ärmel - ganz auszuziehen. Größte Aufmerksamkeit legt der Meister des Charakterporträts Pietro Antonio Rotari auf die Darstellung von Wimpern, Mund und Kopfhaltung.
Im Mittelpunkt von Rotaris Malerei stand der Versuch, Gemütszustände und Charaktereigenschaften im menschlichen Antlitz sichtbar zu machen. Die wissenschaftliche Grundlage dafür fand er in Le Bruns Anweisung zur Darstellung der Leidenschaften und Affekte.[2] Als autonome Kunstwerke entstanden so zahlreiche Porträtfolgen von Männer und Frauen jeden Alters. In der Graphik gab es solche als „verschiedenen Köpfe“ (varie teste) bezeichnete Bildfolgen schon. Rotari übertrug sie nun in die Malerei.
Rotaris für den königlich-sächsischen Hof in Dresden und für die russische Zarin Elisabeth für Schloss Peterhof gefertigten Porträtfolgen haben sich zum größten Teil erhalten. Eine gute Vorstellung von der leider nicht mehr erhaltenen originalen Hängung in Dresden gibt der original erhaltene Rotari Saal in Schloss Peterhof (Abb. 1). Nach Rotaris Tod erwarb Zarin Katharina II. die meisten seiner „Kopfbildnisse“ aus dem Nachlass, um mit den 368 Gemälden einen ganzen Saal in Schloss Peterhof – auch Cabinet der Moden und Leidenschaften[3] genannt – zu schmücken.[4] Die Bildnisse wurden, nur von dünnen vergoldeten Leisten getrennt in einer Boiserie flächendeckend an den Wänden angeordnet.
Bei einem der Bildnisse an der Ostwand des Portraitsaales handelt es sich um eine Wiederholung[5] unseres Gemäldes, jedoch mit veränderter Farbigkeit und Bildgröße.
Mit großer Wahrscheinlichkeit entstand unser Porträt für den Dresdner Bildersaal. Darauf deutet die dünne ockerfarbene Umrandung unseres Bildes hin, die sich auch an den anderen Porträts für das Dresdner Wandprojekt findet und notwendig war, um die Bilder passgenau in die Boiserie des Raumes einzufügen. Auch stimmt das Bildmaß genau mit einem der in Dresden verwendeten Formate überein.
Rotari erhielt seine erste Ausbildung bei dem flämischen Kupferstecher Robert van Audenaerdt in Verona. Wegweisend ist jedoch die anschließende Lehre bei Antonio Balestra. Nach einem Aufenthalt in Venedig ist er ab 1727 in Rom nachweisbar, um dort zu einem zu einem „konsequenteren Klassizismus“[6]zu gelangen. Ab 1729 war er Schüler von Francesco Solimena in Neapel, ehe er 1734 in Verona eine private Akademie für Malerei eröffnete. Als Anerkennung erhielt er 1749 den Titel des Conte verliehen. Ein Jahr später arbeitete der Maler in Wien und schuf vor allem religiöse Gemälde für den Kaiserlichen Hof. In Wien hatte Rotari Gelegenheit zum Studium von Werken Jean-Étienne Liotards. 1752 oder 1753 kam er an den Dresdner Hof. Rotari verschenkte in dieser Zeit zwölf seiner varie teste an Maria Josepha, Dauphine von Frankreich. 1756 reiste er dann aber nicht nach Frankreich, sondern auf Einladung der Zarin Elisabeth von Russland nach St. Petersburg. Nachdem er mit dem Porträt der Zarin großen Erfolg hatte, wurde er zum Hofmaler ernannt, ehe er bereits 1762 überraschend verstarb.
[1] Opinions concerning works of art are given by the staff of the Rijksmuseum to the best of their knowledge. Such opinions remain the intellectual property of the museum, and may be made public or repeated only with written authorization from the Rijksmuseum. Opinions will be offered at the request of bona fide owners of works of art or their legal representative. The Rijksmuseum and individual members of its staff take no responsibility whatsoever for any inaccuracies or omissions in their statements, nor for any consequential losses to third parties nor for any claims that may arise. [2] Charles Le Bruns Conférence [...] sur l’expression générale et particuliére des passions richtete sich direkt an die bildenden Künstler. Mehrere Auflagen erschienen nach der von Le Brun selbst illustrierten Erstausgabe von 1696, 1751 auch in Verona. [3] G. K. Nagler, Neues allgemeines Künstler-Lexicon, Bd. 13, München 1843, S. 463. [4] Zur Biographie siehe Gregor J. M. Weber, Pietro Graf Rotari in Dresden. Ein italienischer Maler am Hof König Augusts III. Bestandskatalog anläßlich der Ausstellung im Semperbau, Kat. Ausst., Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Emsdetten, Dresden 1999, S. 7-15. [5] St. Petersburg, Peterhof, Schloss, östliche Wand, Öl auf Leinwand, 45 x 55 cm, abgebildet in Marco Polazzo, Pietro Rotari: pittore veronese del Settecento (1707-1762), Negrar 1990, S. 126, Nr. 232. [6] Weber, op. cit., S. 7.