Antonio Chichi – VERKAUFT

Antonio Chichi
(1743 - Rom - 1816)

Ein Korkmodell des römischen Tempels der Sibylle in Tivoli, Rom um 1790

Kork, Holz, Stein, Vergoldermasse, Kreidegrund, Mineralfarben, Moos,
46 x 46 x 38 cm
Auf der Unterseite Klebezettel (wohl Inventarmarke) bezeichnet F P. V. 43

Provenienz:
Nachlass Eila Grahame (1930-2009), London

Vergleichende Literatur:
Peter Gercke, Antike Bauten: Korkmodelle von Antonio Chichi 1777-1782, Kassel 2001
Martin Eberle, Monumente der Sehnsucht: die Sammlung Korkmodelle auf Schloss Friedenstein Gotha, Heidelberg 2017

 

Korkmodelle antiker Ruinen aus dem 18. Jahrhundert

Am 12. November 1767 wurde in der Society of Antiquaries, der gelehrten britischen archäologischen Gesellschaft, ein völlig neuartiges Objekt vorgestellt. Es handelte sich um ein großes Modell der Ruine des Rundtempels von Tivoli, das vornehmlich aus Holz und Kork verfertigt worden war. Der in Rom lebende Maler, Kunstkenner und Kunsthändler Thomas Jenkins, Mitglied seit 1757, hatte es nach London geschickt und der Society geschenkt. In einem Begleitbrief benannte er die in seinen Augen konstituierenden Eigenschaften für die Qualität des Modells: es sei von einem man of very singular talents angefertigt worden, whose merit consists in making Models of the Antiquities. Als Gegenstand habe er den Rundtempel in Tivoli ausgesucht, as being one of the most elegant & pittoresque Objects in the Country, ein Architekt habe als Vorlage für den Modellbauer eigens einen neuen Plan angefertigt und schließlich habe ein Landschaftsmaler, to complete the imitation, die einzelnen Teile farbig gefasst, zur Begeisterung aller, die das Modell bisher gesehen hätten. Es ist dies das älteste überlieferte Korkmodell einer antiken Ruine. Diese wirklichen oder vorgeblichen Qualitäten sollten in den nächsten hundert Jahren den Erfolg der Korkmodelle in den Augen von Sammlern oder Architekten ausmachen.

Auf den Einkaufslisten der Grand-Tour-Reisenden standen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem Gemälde alter Meister sowie Landschaften oder Stadtansichten ebenso wie originale Antiken, insbesondere Skulpturen, die zu enormen Preisen erworben und durch den Zoll gebracht werden mussten. Ergänzend dazu kamen jedoch, auf einem deutlich geringeren finanziellen Niveau, regelmäßig Stichwerke wie jene Piranesis und Kopien der berühmten und als vorbildhaft akzeptierten Kunstwerke. Gerne spricht man heute von ihnen als Souvenirs, doch sollten sie über die banale und flüchtige Erinnerung hinaus den materiellen und ästhetischen Rahmen der Reise und der bewunderten Werke in das eigene Schloss bringen, nicht zuletzt um den eigenen ‚originalen’ Besitz in die damit gleichfalls präsenten kanonischen Werke klassizistischer Kunstauffassung einzuordnen. Die lange bewährten Reproduktionstechniken zielten auf größte Genauigkeit der Wiedergabe der dreidimensionalen Objekte, die in den Augen der Zeit jede gezeichnete und gestochene Abbildung an Authentizität übertrafen. Neben oder anstatt antiker geschnittener Steine (Gemmen) erwarb man Sammlungen von Abdrücken aus Schwefelpasten oder Gips, sogenannte Daktyliotheken, in denen die Ikonographie antiker Mythen und Heldensagen systematisch zusammengestellt war. Münzen und Münzabgüsse dienten zur Visualisierung bedeutender Herrscher. Und statt der auch dem reichsten Engländer nicht verfügbaren Venus Medici erwarb man einen möglichst frischen Gipsabguss oder eine verkleinerte Kopie in Bronze, um das Prinzip ihrer Schönheit und ihre Proportionen noch einmal nachvollziehen zu können. Die berühmten und in Italien verstreut aufbewahrten Meisterwerke konnte man so in einer Art Miniatur-Museum um sich versammeln. Nur für die Architektur stellten sich technische Probleme: wegen ihrer Monumentalität besaßen schon einzelne Bauglieder wie Kapitelle schwer zu meisternde Dimensionen, ganz zu schweigen von vollständigen Bauten, zu deren Wirkung ja konstituierend ihre den Menschen dominierende Größe gehörte. Zwar besaßen Architekten vereinzelt Gipsabgüsse von Ornament- und Schmuckdetails, doch erst die ‚Erfindung’ der Korkmodelle, welche die Ruinen in ihrem Verfallszustand maßstäblich reproduzierten, ermöglichte eine leicht transportable und allseitig zu betrachtende Reproduktion.

Jenkins und andere hatten verstanden, dass sich Kork in seiner porösen Konsistenz hervorragend zur Imitation des gleichfalls porösen Kalksteins von Paestum eignete, ebenso für den kompakteren Travertin, der in Rom verwendet wurde. Jenkins Idee, die speziellen Fähigkeiten, welche die Herstellung eines qualitätvollen Architekturmodells erforderte, arbeitsteilig zwischen mehreren Spezialisten aufzuteilen, war ein großer Erfolg. Englische Kunstkenner wie Charles Townley oder antikenbegeisterte Fürsten wie Zarin Katharina II. gaben ganze Modellserien in Auftrag. Deshalb begannen in Rom ab dem Ende der 1760er Jahre neben dem man of very singular talents, in dem wir den Neapolitaner Giovanni Altieri (belegt ca. 1767-1797) erkennen können, zwei weitere Korkmodellbauer zu arbeiten: der etwas ältere Augusto (Agostino) Rosa (1738-1784) sowie der gleichalte Antonio Chichi (1743-1816). Alle drei fertigten Modelle derselben antiken Ruinen in und um Rom an, dazu kamen noch Modelle der dorischen Tempel in Paestum. Alle drei waren von Kontakten zu Kunsthändlern abhängig, die ihre Arbeiten an die meist hochadlige Klientel vermittelten. Altieri arbeitete mit Hilfe von Jenkins und dessen Konkurrenten, dem Schotten James Byres, für das englische und das französische Publikum; Rosa hatte über Piranesi gleichfalls Kontakte nach Frankreich und England. Dagegen wurden Chichis Modelle durch den baltischen Hofrat Reiffenstein nach Deutschland und Russland vermittelt. Dort entstanden umfangreiche Sammlungen, die insbesondere auch für die Ausbildung junger Architekten und Maler genutzt wurden. In England blieben die Sammlungen meist klein. Eine Ausnahme machte nur die später zusammengestellte und heute noch vorhandene Sammlung des Architekten John Soane, sowie die von Richard Dubourg gegen Eintritt über Jahrzehnte in London gezeigte show mit den Stationen einer Grand Tour.

Die Begeisterung über die Anschaulichkeit der Modelle war allgemein: Wenn man das Modell sieht, ist es so, als ob man das Original sähe… heißt es zu einem Tivoli-Tempel um 1770, etwas später zu einem der ersten Modelle in Deutschland (in Gotha): man glaubt, davor zu stehen. Betrachter, die selbst in Italien gewesen waren, schworen, den Stein zu erkennen, über den sie im Colosseum gestolpert waren. Kork war damit zum Synonym für die Darstellung von Alter und Verfall der Zeugnisse der Antike geworden, selbst wenn die dargestellten Bauten aus Marmor oder Ziegel bestanden.

Von den drei Begründern der Phelloplastik – Schnitzereien in Kork – war Antonio Chichi am erfolgreichsten, was sicherlich auch an der hohen Qualität seiner Modelle lag. Nach dem Tod Rosas 1784 und der Rückkehr Altieris nach Neapel 1785 blieb er als letzter bedeutender Modellbauer in Rom. Als einziger bezeichnete er sich regelmäßig als ‚architetto’ und beanspruchte damit einen Rang, der weit über den eines einfachen Handwerkers hinausging. Sein Repertoire umfasste damals 36 Bauten des antiken Rom und seiner Umgebung. Vollständige Serien konnte er nach St. Petersburg, nach Darmstadt und Kassel verkaufen, Auswahlangebote auch nach Gotha, Berlin und andere Orte. Sein Programm umfasste das gesamte Spektrum römischer Architektur, bildete sozusagen deren dreidimensionales Handbuch: Tempel verschiedener architektonischer Ordnungen und Grundrisse; Kuppelbauten und Ehrenbögen; Vergnügungsbauten wie Amphitheater und Thermen; Grabbauten und schließlich sogar eine Reihe technischer Anlagen wie Brücken, Thermen und Wasserbauten. Chichis Modelle wurden von den Zeitgenossen besonders geschätzt. Das lag einerseits an seiner im Vergleich mit seinen Konkurrenten nüchternen Arbeitsweise, andererseits an den präzisen architektonischen Details. Sie wurden aus in Matrizen gepresster Vergoldermasse hergestellt und dann als Kapitelle, Friese und Reliefs in die Modelle eingebaut. Schließlich galt er als Meister beim Verteilen von Moosen, Zweigen und Steinchen, die eine gewisse Stimmung erzeugen sollten.

Text von Prof. em. Valentin Kockel, Universität Augsburg

 

Unser Korkmodell des Tempels der Sybille in Tivoli von Antonio Chichi, Rom circa 1790

Das vorliegende Modell, exakt im Maßstab 1:40 realisiert, zeigt den sogenannten Rundtempel der Sibylle, auch Tempel der Vesta genannt, der um 100 v. Chr. auf der Akropolis von Tibur (Tivoli) errichtet wurde. Der Bau galt wegen seiner zierlichen Maße und seiner äußerst eindrucksvollen Lage über dem Wasserfall des Anio als Inbegriff des pittoresque and sublime und war somit ein „must“ für jeden Reisenden der Grand Tour. In zahllose Veduten ist dieses Ziel der Romreise festgehalten, Rekonstruktionen finden sich in großer Zahl in den Landschaftsgärten Europas. Es erstaunt daher nicht, dass gerade von diesem antiken Monument auch eine große Zahl an Korkmodellen existierte, von denen sich die meisten allerdings nicht erhalten haben. Erhaltene Exemplare von Chichis Hand finden sich vor allem noch in fürstlichen Sammlungen, die heute meist in Museen ausgestellt sind. Erwähnt seien hier die Modelle in St. Petersburg 1774, Gotha 1777/78, Kassel 1777-82 und Darmstadt 1790/91.

Obwohl die spektakuläre Lage des Tempels, hoch über den Wasserfällen des Anio, sicherlich nicht wenig zu seinem Ruhm beigetragen hat, ist sie in die Gestaltung der erhaltenen Modelle nicht eingeflossen. Auch in unserem Fall deutet nur die kleine gewinkelte Ziegelmauer auf einen am Ort erkennbaren Unterbau hin. Diese Isolierung des Baus aus seinem Kontext entspricht den architektonischen Vermessungen der Zeit und muss wohl als Zeichen einer ganz auf die richtige Proportionen zielenden und damit ‚seriösen’ Reproduktion verstanden werden.

Das Modell steht auf einer stabilen Holzrahmenkonstruktion mit vier Füßen aus Kork. Ebenfalls aus Kork bestehen die teilweise ergänzten Rahmenleisten, die vorn das Objekt (TEMPIO DELLA SIBILLA) und rechts seinen Schöpfer CHICHI nennen. Auf dieser Seite könnte sich ursprünglich auch ein aufgeklebter Papierstreifen befunden haben, auf dem zwei Maßstäbe in (antiken) römischen piedi wie in (aktuellen) römischen palmi zu lesen und abzugreifen waren, ein Merkmal Chichis archäologischer Präzision. Das Podium des Tempels und die Säulen geben den wirklichen Steinschnitt in Kork wieder. Die detailliert wiedergegebenen Kapitelle und der Fries sind in pigmentierter Vergoldermasse gefertigt.

Der Architrav des Tempels in Tivoli trägt die Inschrift L.GELLIO L.F., verweisend auf Lucius Gellius[1], Architekt der öffentlichen Bauten in Tibur (heute Tivoli). Chichi hat die Inschrift mit einem kleinen Fehler auf unser Modell übertragen, wo L.GELIO L.F. zu lesen ist. Chichis Lapsus erlaubt womöglich eine genauere Datierung unseres Modells. Während die Inschrift auf seinen frühen Modellen für Gotha 1777/78 und Kassel 1777/82 fehlt, befindet sie sich identisch auf seinem späteren 1790/91 nach Darmstadt gelieferten. So liegt es nahe, unser Stück ebenfalls um 1790 zu datieren.

Chichis Fähigkeit, antikes Mauerwerk exakt in Korkoberflächen umzusetzen, zeigt sich besonders an der Wand des eigentlichen Tempelraumes, der Cella. Sie ist in Tivoli in der üblichen Technik der Bauzeit aus einem Mörtelwerk errichtet, dessen Oberfläche aus unregelmäßigen kleinen Steinen besteht, dem sogenannten opus incertum. Diese Technik hat Chichi im oberen Teil der Wand meisterlich mit kleinen, ebenfalls in Vergoldermasse vorgefertigten Steinen imitiert, im unteren dagegen mit dunklem Basaltsplit, der eine – vielleicht mittelalterliche – Reparatur des Baues in das Modell überträgt. Erstaunlich genau sind auch die korinthischen Kapitelle nachgebildet, die den Stil um 100 v. Chr. präzise wiedergeben, obwohl dieser eigentlich der klassizistischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts nicht entsprach. Ungewöhnlich gut sind auch die Reste der farbigen Fassung erhalten, die den mineralischen, matten Charakter von Stein perfekt imitiert. Um dies zu erreichen, mussten die mineralischen Pigmente mit sehr wenig Bindemittel aufgetragen werden, sicherlich ein Grund, weshalb die Kolorierung an den meisten Modellen Chichis schlecht erhalten ist.

 


[1] Die abgekürzte Inschrift L. GELLIO L.F. verweist auf Lucius Gellius d.J. – Lucius Gellius Lucii Filius – Sohn des  promagistrate Lucius Gellius. Vgl. Carl Friedrich von Wiebeking Theoretisch-practische bürgerliche Baukunde, durch Geschichte und Beschreibung der merkwürdigsten antiken Baudenkmahle und ihrer genauen Abbildungen bereichert, Bd. I, München 1821, S. 524.

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