Angelo Morbelli (Alessandria 1853 - 1919 Mailand)
Sonnenuntergang in den Bergen, 1907
Öl auf Leinwand, 23,5 x 38,3 cm
Signiert und datiert unten links Morbelli. 1907.
Rückseitiges Etikett der Galleria d'Arte Fogliato di Torino
Echtheitsbestätigung des Sohnes Rolando Morbelli
Provenienz:
Sammlung Dr. Benoldi;
Galleria Fogliato, Torino (1975) (Im Besitz von Dr. Benoldi);
Bottegantica, Mailand / Bologna;
Privatsammlung, Varese;
Privatsammlung, Mailand;
Als Leihgabe in der Pinacoteca Fondazione Cassa Risparmio di Tortona 2013-2015.
Ausstellung:
Wohl IX. Esposizione Internazionale d'Arte della Città di Venezia - La Biennale di Venezia, Venedig 1910, Nr. 19 (Pomeriggio al Tramonto);
Pittori dell'800, Turin, Galleria d'Arte Fogliato di Torino, 1975, Nr. 31;
Il Divisionismo, Tortona, Pinacoteca Fondazione Cassa Risparmio di Tortona, 2013-2015, S. 16, Nr. 57.
Literatur:
Luigi Mallé, La pittura dell'Ottocento piemontese, Turin 1976, S. 293, Abb. 591;
Ottocento e Novecento italiano, Bologna 2000, S. 16;
Ottocento. Catalogo dell’arte italiana dell’Ottocento, Mailand 2001, Bd. 30, S. 306.
Angelo Morbelli ist zusammen mit Giovanni Segantini, Guiseppe Pellizza, Gaetano Previati, Emilio Longoni und dem Kritiker und Galeristen Vittore Grubicy einer der sechs wichtigsten Protagonisten des Divisionismo1, eine dem Pointilismus zeitgleiche Kunstströmung in Norditalien. Der Terminus beschreibt die Maltechnik, bei der verschiedenfarbige Pinselstriche nebeneinander gesetzt werden, die in der visuellen Wahrnehmung zu einem Farbton verschmelzen.
Die italienischen Künstler hatten zur Entstehungszeit des Divisionismus keine oder nur wenige Originalwerke der Neoimpressionisten beispielsweise von George Seurat zu Gesicht bekommen. Sie waren ihnen mehr aus Zeitschriften, beispielsweise L’Art moderne, bekannt, in der auch der Kunstkritiker Félix Fénéon publizierte der den Terminus des Neoimpressionismus geprägt. Um 1887 wurden Fénéons Gedanken von dem Kritiker, Galeristen und Maler Vittore Grubicy aufgegriffen, der dem Divisionismus in Italien propagierte und als Förderer unterstützte. Mit der Ausstellung von Werken Morbellis, Longonis und Segantinis auf der Triennale di Brera in Mailand 1891 kam erstmalig eine breitere Öffentlichkeit mit der neuen Strömung in Berührung.
Die divisionistische Revolte erschöpfte sich aber nicht in einer neuen Maltechnik. Indem sie soziale Fragen in den Vordergrund schob, erschloss sie eine neue Themenwelt.2 Mit der Jahrhundertwende unter dem Einfluss des Symbolismus blühte das Interesse der Divisionisten an der Landschaft als autarkem Motiv auf.
Angelo Morbelli – der Maler des vorzustellenden Gemäldes – studierte bis 1876 an der Accademia di Brera in Mailand. Seit 1887 bei dem Galeristen Grubicy unter Vertrag, besuchte er 1889 die Weltausstellung in Paris und hielt sich kurz in London auf. In den folgenden Jahren setzte er sich besonders intensiv mit den farbtheoretischen Grundlagen des Divisionismo auseinander. Neben der Entwicklung der neuen Maltechnik interessierte er sich besonders für Malmaterialien und experimentierte mit der Herstellung selbstgemachter Ölfarben und Firnisse um die erwünschten Lichteffekte zu erzielen.
Morbelli war der rigoroseste und engagierteste Verfechter der neuen Technik.4 Im Mittelpunkt seines späteren Schaffens stand die Landschaft, besonders die Berglandschaften Nord- und Mittelitaliens. Seit 1895 verbrachte er die Sommermonate regelmäßig im lombardischen Santa Caterina Valfurva. Sein Interesse galt der ständig wechselnden Wahrnehmung von Farben abhängig von Wetter und Tageszeit, daher faszinierte ihn die Herstellung mehrerer Fassungen eines Motives zu unterschiedlichen Tageszeiten und atmosphärischen Bedingungen.4
Unser 1907 datiertes Gemälde besticht nicht nur durch seine Stimmung sondern auch mit seiner raffinierten Maltechnik. Die Farben sind pastos in minutiös feiner Strichelung aufgetragen, einem Netzwerk gleich. Die Umrisse erscheinen weich, das Farbspiel und Lichtwerte sind von größter Subtilität.5
Dargestellt ist eine Berglandschaft in der Abenddämmerung. Die vorderen bildparallelen Berge sind schon fast in Dunkelheit versunken – ein wenig Farbe ist noch erkennbar. Unter dunklen Lasuren lässt Morbelli sie uns ahnen.
Der dahinter in die Bildtiefe verlaufende Bergrücken reflektiert das zarte Restlicht des Himmels und taucht die Flanke des Berges in ein warmes rötliches Licht. Der Kontrast zwischen dem dunklen Vordergrund und dem hellen Mittelgrund gibt dem Bild seine magisch anmutende Tiefenräumlichkeit.
Als Naturstudie zu unserem Bild ist wohl die kleinformatigere Arbeit6 (Abb. 1) zu sehen.
1 Zu Divisionismo siehe Flavio Caroli, Il Divisionismo, Kat. Ausst., Tortona, Pinacoteca Fondazione Cassa Risparmio di Tortona, 2013-2015, S. 16-37.
2 Erwähnt seien die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen nach der Einigung Italiens 1861 und durch die europaweite Industrialisierung in den 1890er Jahren.
3 Zürcher Kunstgesellschaft, Kunsthaus Zürich (Hg.), Revolution des Lichts. Italienische Moderne von Segantini bis Balla, Kat. Ausst. Kunstgaus Zürich, London, National Gallery, Ostfildern 2008, S. 16.
4 Unsere Darstellung kann im Zusammenhang mit zwei um 1906 entstandene Bildern gesehen werden, die den frühen Morgen bzw. die Mittagszeit veranschaulichen. Pasesaggio montano, Öl auf Leinwand, 30 x 45 cm, Privatbesitz. Tetti di paese montano, Öl auf Leinwand, 30 x 45 cm, Privatbesitz. Vgl. Giovanni Anzani und Elisabetta Chiodini, L'Ottocento tra poesia rurale e realtà urbana. Un mondo in trasformazione, Kat. Ausst., Rancate, Pinacoteca Züst, 2013-14, S. 202-203, Nr. 73 a und 73b.
5 Neben der Eigenständigkeit bei der Auswahl der Themen, weichen auch die Malweisen der Divisionisten voneinander ab: bei Pellizza wechseln feinste Linien, Punkte und Pinselhiebe einander ab, Previati bedeckt in seinen dekorativen Allegorien die Leinwände mit fließenden, organischen Linien und Morbelli setzt Schraffuren paralleler Pinselstriche nebeneinander.
6 Angelo Morbelli, Montagne al tramonto, Öl auf Holz, 12 x 21 cm, Privatsammlung. Vgl. Angelo Morbelli. Tra realismo e divisionismo, Kat. Ausst. Turin, GAM Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea, Turin 2001, S. 97.